Die Beziehungen zwischen Ungarn und Deutschland sind seit Jahren kompliziert – wirtschaftlich gut, politisch spannungsgeladen. Umso wichtiger ist direkte und präzise Kommunikation zwischen den beiden Regierungen, um Konfliktpotential auf tatsächliche Interessengegensätze zu begrenzen, und nicht durch Missverständnisse zusätzlich zu belasten. Die aber gibt es immer wieder. Von Boris Kálnoky.
Die Rechtstaatlichkeitsdebatte 2011 bis 2013, der Wirbel um die “Anti-Soros-Kampagne" in Ungarn 2018, gefolgt von der “Anti-Juncker-Kampagne" 2019 und die Aufregung um Ungarns “Ausnahmezustand” zu Beginn der Covid-Pandemie 2020 belasteten die bilateralen Beziehungen, teilweise deswegen, weil die Kommunikation zwischen Berlin und Budapest nicht optimal lief. Ein sicheres Zeichen dafür, dass man einander nicht einwandfrei versteht, ist wenn zuständige Politiker Journalisten fragen, was eigentlich los ist.
Normalerweise laufen solche Kommunikationsprozesse über die jeweiligen Botschaften. Aber das deutsch-ungarische Beziehungsgeflecht ist ungewöhnlich komplex. Die deutsche Botschaft in Budapest spielt seit Jahren eine weit weniger wichtige Rolle als in manchen anderen Ländern. Dafür hat sich die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung unter ihrem jüngst pensionierten Leiter Frank Spengler zu einer wesentlichen Brücke zwischen Berlin und Budapest entwickelt.
Um nur ein Beispiel zu nennen: In den ersten Jahren der Orbán-Regierung, als viel medialer Aufruhr herrschte um das neue Mediengesetz und die damalige Justizreform, riet die KAS der ungarischen Seite, deutlich schneller zu sein mit den deutschen und englischen Übersetzungen ihrer Gesetzestexte, um Verständnisproblemen besser zu begegnen. Heute ist das die Norm. Weitere Akteure sind die Deutsch-Ungarische Handelskammer, und zunehmend auch das Deutsch-Ungarische Jugendwerk unter Leitung von Maren Schoening. Das Jugendwerk organisierte zum Beipsiel das Rahmenprogramm zum Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Sopron 2019, der zu einem Signal für eine positive Wende in den bilateralen Beziehungen wurde. Demnächst dürfte auch das neue Deutsch-Ungarische Institut am Mathias Corvinus Collegium als Forum für die bilateralen Beziehungen in Erscheinung treten – geleitet wird es seit 1. Dezember von Bence Bauer, vormals Frank Spenglers Stellvertreter bei der KAS Budapest.
Auf der ungarischen Seite spielen Politiker aus dem Umfeld des früheren Ministers für Humanressourcen, Zoltán Balog, eine wichtige Rolle. Balog führt seit einigen Jahren die Parteistiftung der Regierungspartei Fidesz und versucht, sie zu einer Art ungarischen KAS auszubauen. Zentrale Akteure mit engen Verbindungen zu Balog sind Kanzleramtsminister Gergely Gulyás und Familienministerin Katalin Novák. Sie ist als Vizepräsidentin der Regierungspartei Fidesz speziell für die Beziehungen zu den Unionsparteien und zur Europäischen Volkspartei zuständig.
Auch Justizministerin Judit Varga spielt eine immer wichtigere Rolle, mit häufigen Besuchen in Berlin und einem ausgedehnten Netzwerk von Kontakten in der deutschen Politik. Sie kontert auch gerne kämpferisch und öffentlich, wenn Europa-Staatssekretär Michael Roth (SPD) wieder einmal Parteipolitik statt Europapolitik betreibt, indem er gegen die Orbán-Regierung wettert. Wichtig für die Kontaktpflege sind im Hintergrund auch der frühere Verteidigungsminister und heutige Parlamentsvize Csaba Hende sowie (in Wirtschaftsfragen) Innovationsminister László Palkovics. Über die Jahre spielte auch der frühere ungarische Botschafter in Berlin, József Czukor, im Hintergrund eine Rolle, in verschiedenen Funktionen - Orbán-Berater, Koordinator des Budapester Informationsamtes. Zunehmend hat in den letzten Jahren auch Außenminister Szíjjártó positiv auf das bilaterale Verhältnis eingewirkt. Insbesondere versteht er sich offenbar gut mit dem deutschen Außenminister Heiko Maas.
Maas ist öffentlich farblos. Wenn er über Ungarn (und überhaupt über irgendein Thema) spricht, erschöpft sich das meist in inhaltsleerem Gerede über “Solidarität” und “Werte”. Aber er versucht jenseits solcher Worthülsen, eine neue deutsche “Ostpolitik” aufzubauen, die bitter nötig ist. In diesem Sinne steht er für eine politische “Öffnung” gegenüber Ostmitteleuropa, also auch Ungarn.
Auf der deutschen Seite gibt es drei grundsätzliche Probleme: Die doppelgleisige Führung der Außenpolitik zwischen Kanzleramt (CDU) und Außenministerium (SPD), die zuweilen lieblos erscheinende Besetzung des Botschafterpostens in Budapest und der Mangel an echten Ungarn-Kennern im Kanzleramt. Das beklagen sowohl ungarische als auch deutsche Quellen.
Die jeweiligen Botschafter konnten in den letzten Jahren keine wirklich tragende Rolle spielen, schon deswegen, weil sie nie lange bleiben. Lieselore Cyrus war Botschafterin 2014-2015, zuvor hatte sie in Addis Abeba gedient. Ihr Nachfolger Hans-Peter Behr blieb zwei Jahre (2015-17). Volkmar Wenzel blieb immerhin drei Jahre, bis Sommer 2020. Der jetzige, neue Botschafter Joseph Haindl hat nur noch ein Jahr bis zur Pensionierung.
Daraus ergibt sich, dass die jeweiligen Botschafter nur begrenzt Kontakte mit ungarischen Experten und Politikern aufbauen und vertiefen können. KAS-Chef Spengler trat seinen Posten 2012 an – das waren bis zu seiner Pensionierung am 30. November 2020 acht Jahre. Er dürfte auch weiterhin, in welcher Funktion auch immer, ein Faktor bleiben. Die CDU-nahe KAS und das unpolitische Jugendwerk spielen stärker als die Botschaft auch eine vermittelnde Rolle. Sie vertreten nicht nur deutsche Vorstellungen gegenüber ungarischen Entscheidungsträgern, sondern vermitteln umgekehrt auch ungarische Vorstellungen, Vorschläge, Bitten und Tatsachen-Klärungen nach Berlin.
Genau deswegen ist besonders die KAS ein so bedeutender Player: Sie hat das Vertrauen der ungarischen wie der deutschen Seite und hat einen direkten Draht zur außenpolitisch entscheidenden Regierungspartei in Deutschland, der CDU/CSU. Die Botschaft wiederum vertritt ausschließlich deutsche Interessen und berichtet vorrangig dem SPD-geführten Auswärtigen Amt. Die KAS ist daher besser eingebettet in den politischen Informationsfluss zwischen Berlin und Budapest, breiter und tiefer vernetzt, und hat besseren und dichteren alltäglichen Kontakt mit den zuständigen ungarischen (und deutschen) Politikern. “Frank Spengler ist der eigentliche Botschafter”, hieß es zuweilen in Budapest, solange er noch im Amt war. Es bleibt abzuwarten, ob das unter seinem Nachfolger (so bleiben kannEin Blick auf das Kuratorium des deutsch-ungarischen Jugendwerkes zeigt, dass auch dort das Beziehungsnetzwerk zu höchsten politischen Kreisen exzellent ist. Die Deutschlandpolitikerin und Familienministerin Katalin Novák ist dort ebenso präsent wie ihr politischer “Ziehvater” Zoltán Balog. Für DUJW-Chefin Maren Schoening stehen die Türen der entscheidenden ungarischen Politiker immer offen, in Berlin findet sie offene Ohren im Auswärtigen Amt.
Das DUJW organisiert jährlich das “Deutsch-Ungarische Forum”, ein Treffen bei dem mittlerweile die beiden Außenminister gemeinsam auftreten, und wichtige Akteure der deutsch-ungarischen Beziehungen sich treffen und austauschen. Diverse Veranstaltungen von KAS und DUJ, teilweise gemeinsam organisiert, sind zu einer wichtigen Begegnungsstätte für relevante Politiker beider Seiten geworden. Gelegentlich organisiert auch die CSU-nahe Hanns Seidel-Stiftung solche Veranstaltungen mit CSU-Politikern. Das hat aber abgenommen, da sich die Beziehungen zwischen CSU und Fidesz unter dem neuen CSU-Chef Markus Söder deutlich abgekühlt haben.
Ein Schwachpunkt in der Kommunikation zwischen Budapest und Berlin ist, dass die Deutschen zwar Zugang finden zu den Deutschlandpolitikern der ungarischen Regierung, aber nicht unbedingt zu jenen, die die tatsächlichen Entscheidungen treffen. Ideen wie die Anti-Juncker-Kampagne 2019 zum Beispiel entstehen nicht im Büro von Novák, Gulyás oder Balog. Hier wäre ein direkter Draht hilfreich. Die deutsche Seite klagte intern, dass sie über diese Pläne nicht rechtzeitig oder gar nicht informiert wurde. Es ist auch tatsächlich ein Problem: Eine politisch so provokante Aktion wie die Anti-Juncker-Kampagne führt unweigerlich dazu, dass die deutsche Regierung von den Medien unter Rechtfertigungsdruck gesetzt wird: Sie muss dann Stellung nehmen, sich distanzieren, und CDU/CSU müssen erklären warum sie überhaupt mit der ungarischen Regierungspartei verbündet sind. Umgekehrt war die ungarische Seite unangenehm überrascht, als die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im Rat der ständigen Vertreter der Mitgliedsstaaten (Coreper) einen Textentwurf zum geplanten EU-Rechtstaatlichkeits-Mechanismus zur Abstimmung vorlegte, der für Budapest inakzeptable Verschärfungen enthielt. Das führte zu einer ungarischen Veto-Drohung. (Inzwischen wurde das Problem durch einen Kompromiss auf dem EU-Gipfel vom 11. Dezember gelöst.)
Ein anderes Problem: Es gibt auf deutscher Seite kaum echte Ungarn-Experten. Im Kanzleramt gibt es nach Auskunft sowohl deutscher als auch ungarischer Kenner der Beziehungen keinen Berater mit wirklicher Erfahrung und Kenntnis des Landes. Die komplette Riege der ungarischen Deutschland-Politiker spricht und versteht hingegen nicht nur Englisch, sondern Deutsch – keiner auf der deutschen Seite versteht ungarisch.
Die Beziehungen dürften im nächsten Jahr noch komplizierter werden, schon deswegen, weil in der CDU ein Führungswechsel und dann die Bundestagswahl ansteht. Neuer Kanzler (wohl keine “Sie”), neuer Parteichef, neue Expertenteams.
Es wäre hilfreich, wenn die Regierung in Berlin sich auf eine klare Strategie gegenüber Ungarn und Ost-Mitteleuropa festlegen würde, auf eine institutionalisierte, transparente, berechenbare Zusammenarbeit. Laut DUJW-Chefin Maren Schoening gibt es derzeit keine strategische Vision in Berlin für den Umgang mit Ostmitteleuropa. Ein diesbezüglicher Beschlussantrag der FDP vor einem Jahr, über eine “strategische Kooperation”, stieß in der Union zwar auf höfliches Interesse. Aber mehr auch nicht. Auf der ungarischen Seite würde es helfen, wenn potentiell provokante politische Ideen mit längerem Vorlauf geplant und früher nach Berlin kommuniziert würden.
Der Autor ist Journalist, Korrespondent für deutschsprachige Zeitungen und Leiter der MCC Media School.
(Bild: 4cdn.hu)