Während seines Besuchs in Ungarn kritisierte Papst Franziskus Erscheinungformen der modernen Zivilisation und lobte die Rolle des Landes als Brückenbauer zwischen Ost und West. Vage deutete er auch an, an einer Friedensinitiative für die Ukraine beteiligt zu sein.
Unter großer gesellschaftlicher und medialer Aufmerksamkeit stattete Papst Franziskus vom 28. bis 30. April 2023 einen Pastoralbesuch in Ungarn ab. Während seines Aufenthalts verfolgte das ganze Land mit Spannung und großem Interesse sein Programm, seine zahlreichen Begegnungen und Reden und störte sich dabei nicht einmal an den gelegentlichen Verkehrsstaus in der Hauptstadt, die der reisende Kirchenvater verursachte. Der jetzige Besuch galt als das dritte Zusammentreffen des Papstes mit ungarischen Gläubigen: Im Juni 2019 hatte er auf der traditionell wichtigsten Wallfahrt ungarischer Pilger im siebenbürgischen Schomlenberg bei Szeklerburg (Rumänien) die Abschlussmesse zelebriert, was insbesondere für die ungarischsprachigen siebenbürgischen Szekler von großer Bedeutung gewesen war, dann war er anlässlich des Eucharistischen Kongresses im September 2021 nur für einige Stunden in Budapest gewesen, was damals für einige mediale Missverständnisse sorgte.
Kritik an Supranationalismus und Gender-Kultur
Diesmal lässt sich in Nachbetrachtung mit Sicherheit sagen, dass der Heilige Vater während seiner ganzen drei Tage ein wahrlich hochintensives und vielfältiges Programm bekommen hat, in dem er nicht nur die politische Führung und die Vertreter der Verfassungsorgane des Landes, sondern ebenso die religiöse, kulturelle und gesellschaftliche Vielfalt Ungarns tiefergehend kennenlernen konnte. Nach dem zeremoniellen Staatsempfang traf er sich in Vier-Augen-Gesprächen mit der Staatspräsidentin Katalin Novák sowie mit dem Ministerpräsidenten Viktor Orbán, bevor er sich in einer circa halbstündigen Rede an die Amtsträger des ungarischen Staates, die Vertreter der Zivilgesellschaft und des diplomatischen Korps wandte. Im weiteren Verlauf seines Pastoralbesuchs begegnete Franziskus der ungarischen Geistlichkeit, besuchte eine Blindenanstalt, traf Arme und Flüchtlinge und besuchte die in Ungarn traditionell verbreitete griechisch-katholische Kirche. Ebenso kam er mit Jugendlichen und mit den Vertretern von Wissenschaft und Forschung zusammen und zelebrierte einen Gottesdienst vor etwa 50.000 Gläubigen vor dem ungarischen Parlamentsgebäude am Kossuth-Platz, dem Hauptplatz der Nation.
In seinen Reden stellte Papst Franziskus sein Wissen über das Ungarntum, die Geschichte Ungarns und ebenso die aktuelle politische Lage unter Beweis und hob wiederholt die Rolle Ungarns als Brückenbauer innerhalb der europäischen Gemeinschaft hervor. Angesichts des Ukrainekriegs betonte er – ebenso wie die ungarische Regierung seit dessen Ausbruch – die Notwendigkeit der Diplomatie und kreativer Bemühungen um Frieden und Freiheit. In einer seiner Reden erwähnte er auch die Genderkultur und die Abtreibung, gegen die er eine wirksame Familienpolitik als eine Priorität für Europa bezeichnete: „Supranationalismus ist der Weg des ideologischen Kolonialismus. Wie im Fall der sogenannten Gender-Kultur.“ Dabei lobte das Kirchenoberhaupt sowohl das ungarische Grundgesetz, aus dem es auch mehrmals zentrale Passagen zitierte, als auch die ungarische Familienpolitik. In seiner Predigt sprach er über verschlossene Tore der Gleichgültigkeit gegenüber denen, die leiden, in Armut leben oder Flüchtlinge sind.
Treffen mit dem Metropoliten der russisch-orthodoxen Kirche
Dabei – den polarisierten ungarischen und internationalen politischen und öffentlichen Verhältnissen entsprechend – schieden sich die Geister vor, während und nach dem Besuch, ob der Heilige Vater in seinen Reden die ungarische Regierung nun gelobt oder kritisiert, ob er offene oder verdeckte politische Botschaften vermittelt habe und ob er auf einer Friedensmission in Ungarn gewesen sei oder eben nicht. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, und je nachdem, welches der beiden Narrative man bevorzugt, kann man die verschiedenen Zeitungen oder Nachrichtenportale durchstöbern und wird sicher Unterstützung für die eigene Position finden. Jedoch kommt hinter all den politischen Fassaden und Interpretationen des Besuchs die Kernbotschaft des Papstes zu kurz: Die wahre Bemühung um den Weltfrieden und die Nächstenliebe sowie der Wert des menschlichen Lebens auf dem unveränderlichen Wertefundament des Katholizismus.
In eben diesem Sinne gab es ein weiteres päpstliches Treffen in Budapest, das von der europäischen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurde: Franziskus traf sich mit Hilarion Alfejew, dem Metropoliten der russisch-orthodoxen Kirche in Ungarn, der einst als „Außenminister“ des russischen Patriarchen Kirill galt. Dementsprechend bestätigte Franziskus auf seiner Rückreise aus Ungarn, dass er während seines Besuchs mit mehreren Gesprächspartnern über das Thema Frieden geredet habe. Er deutete vage ebenso an, dass der Vatikan mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine an einer Friedensinitiative beteiligt sei. Daher lässt sich hoffen, dass der jetzige Ungarnbesuch des Kirchenoberhaupts über die kulturellen Aspekte und Bedeutung des Besuchs hinaus in die Geschichtsbücher einhergeht, nicht nur, weil der Papst innerhalb von eineinhalb Jahren das Land zweimal besuchte, sondern auch, weil sein Aufenthalt in Ungarn zu einer größeren Friedensmission beitragen könnte, die derzeit – wie der Papst es formulierte – noch nicht öffentlich sei.
Titelbild: Mandiner