Welche Rollen spielen die Medien in der europäischen Integration? Sprechen wir in Europa wirklich miteinander, oder nur übereinander? Diese und weitere Fragen diskutierte Frank Lübberding, langjähriger Politik- und Medienjournalist mit dem Leiter der Medienschule des MCC, Boris Kálnoky am 31. Januar 2023 im MCC Scruton Café in Budapest. Die Veranstaltung mit etwa 80 Teilnehmern wurde vom Direktor des Deutsch-Ungarischen Instituts, Bence Bauer sowie dem Forschungskoordinator Martin Josef Böhm eröffnet.

Anschließend erläuterte Lübberding in einem Impulsvortrag seine fachliche Perspektive auf die Entwicklung der deutschen und europäischen Medien und die Herausbildung einer europäischen Öffentlichkeit. Er schilderte seine Perspektive auf Ungarn aus dem Blickwinkel eines deutschen Politikjournalisten, verglich weiterhin die heutige mangelhafte europäische Diskussionskultur zwischen Ost und West mit ähnlichen Problemen bei der früheren Diskussion zwischen Nord und Süd. So täten sich deutsche Medien schwer, ohne moralische Wertungen von der Schuldenkrise im Mittelmeerraum zu berichten; aber auch bei der Bewertung der Haltung von ostmitteleuropäischen Staaten zu Themen wie Migration und Souveränität würde es an Verständnis mangeln, was zu zunehmender Polarisierung in den nationalen Medien und Gesellschaften führe. Vielfach würden zwar abgeschottete Elitendiskussionen existieren, aber mangels einer gemeinsamen Sprache entfalteten diese keine Breitenwirkung, die es aber benötigen würde, um eine gemeinsame europäische Öffentlichkeit zu schaffen. Stattdessen würde diese fiktive Öffentlichkeit zunehmend zu einem Forum und Schlachtfeld für Ressentiments gegeneinander verkommen. Es ginge nicht mehr um gegenseitige Toleranz und das Brückenbauen, sondern vielmehr um die Durchsetzung bestimmter ausschließlicher Identitätspolitiken. Unter diesen Vorzeichen eines Fehlens eines europäischen Diskussionsraumes wertete er den Anspruch einer „ever closer union“ als schwierig umsetzbar. Insbesondere hob Lübberding die Gefährlichkeit sozialer Medien hervor, welche die Gefahr bärgen „zu verkürzen, polarisieren, manipulieren und fragmentieren“.

 

Ausgehend davon erörterten Boris Kálnoky und er die kulturellen Änderungen und neuen Narrative nach der Wende, ebenso die Unterschiede in der europäischen Medienkultur und Identität zwischen West und Ost. Sie waren sich einig: Viel zu oft würden echte tiefgreifende europäische Diskussionen nicht stattfinden, sondern lediglich oberflächliche nationale Elitendiskurse als solche dargestellt werden. Um eine europäische Identität zu befördern, müsste deutlich mehr gegenseitiges Bewusstsein für die Sorgen und die Debatten des anderen geschaffen werden. Westeuropa wende dem Osten in Desinteresse jedoch verstärkt den Rücken zu. Auch sei die Kommunikation leider nur eine Einbahnstraße: Während der Westen erwarte, dass der Osten seine Positionen nachvollzieht, sei diese Bereitschaft von seiner Seite aus nicht der Fall. Ein gemeinsames Europa sei in jedem Fall aber nur möglich, wenn wir ehrlich miteinander und nicht übereinander reden würden. Kálnoky stellte hier die Frage, ob nicht Osteuropa dem Westen sein Herz und seine Seele zurückgeben könne.

 

Im Folgenden kam man überein, dass die Begriffe der Souveränität und der Nation in Deutschland negativ besetzt seien, aber in anderen europäischen Ländern, insbesondere im Osten, mehrheitlich Zustimmung erführen. Ähnlich gäbe es deutlich unterschiedliche Positionen, was eine liberale Demokratie denn wirklich sei, da die einzelnen politischen Debatten in den europäischen Ländern nicht synchron verliefen. Kálnoky zeichnete hier die ungarische Liberalismuserfahrung eindrücklich nach und kontrastierte die ungarische Streitkultur mit der deutschen Konsenskultur. Die Diskutanten wurden sich einig, dass ein Mittelweg des respektvollen Streits, der auch die grundlegenden Gemeinsamkeiten anerkenne für beide Länder wünschenswert wäre. Durch die „Häppchenkultur“ der modernen digitalen Medien – jeder Medienkonsument sucht sich seine Inhalte und damit Wahrheiten selbst aus – würde derzeit leider die Fragmentierung der Debatten eher sogar noch befeuert, anstatt zur Herausbildung einer europäischen Öffentlichkeit beizutragen.  

 

Abschließend wurde die Diskussion dem Publikum geöffnet, welches ein breites Spektrum an Themen von den Medien als Wirtschaftsfaktor, über die deutsche Identität, mediale Moralisierung und Idealisierung, bis zu Übertreibungen und Fehlinformationen in der Ungarnberichterstattung in die Runde einbrachte. Das Fazit des Abends zog zuletzt Martin Josef Böhm: Hoffentlich konnte die Veranstaltung selbst auch einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass man in Europa im Gespräch bliebe.