Das Deutsch-Ungarische Institut für Europäische Zusammenarbeit am Mathias Corvinus Collegium (MCC) veranstaltete am Dienstag, den 14. Juni 2022 die Vorstellung des Buches „Der ungarische Staat – Ein interdisziplinärer Überblick“ mit anschließender Diskussionsrunde im Liszt Institut – Ungarisches Kulturzentrum Stuttgart. Neben dem Generaldirektor des MCC und einem Herausgeber des Buches, Zoltán Szalai, beteiligte sich auch der ehemalige Visiting Fellow des MCC, Klaus-Rüdiger Mai, an der Diskussionsrunde.

Die Veranstaltung wurde vom Direktor des Deutsch-Ungarischen Instituts, Dr. Bence Bauer, vor rund 60 Gästen eröffnet. In seiner Rede betonte Bauer die Bedeutsamkeit des heutzutage oft verwehrten Dialogs sowohl in den deutsch-ungarischen Beziehungen als auch im europäischen Kontext. Aus diesem Grund würden die ungarischen Positionen nicht verstanden, weil es an Erklärungsmöglichkeiten fehle. Um diesem Phänomen entgegentreten zu können und für ein besseres Verständnis ungarischer Entscheidungsfindungen, leiste der in Stuttgart vorgestellte Sammelband einen wertvollen Beitrag, so der Direktor.

Die Bedeutung des Buches und der Veranstaltung wurde ebenso von Dr. András Izsák, Generalkonsul von Ungarn in Stuttgart, hervorgehoben. Izsák betonte, dass sich Ungarn eindeutig zu Europa und der Europäischen Union bekenne, jedoch gäbe es kulturelle Unterschiede, die im Sinne des Mottos der EU (in Vielfalt in geeint) selbstverständlich sein müssten. Nichtsdestotrotz müsse man weiterhin miteinander reden und diesem Austausch möge dieser Sammelband und dessen Vorstellung in Stuttgart beitragen – sagte der Generalkonsul.

Anschließend stellte Klaus-Rüdiger Mai, Schriftsteller, Publizist und ehemaliger Visiting Fellow des MCC, das Buch zusammenfassend vor. Er betonte, dass es zwischen Deutschland und Ungarn viele Gemeinsamkeiten, aber ebenso viele Unterschiede gäbe. Um die Letzteren verstehen zu können, ist die Kenntnis der Eigenheit der ungarischen Geschichte unabdingbar. Darüber hinaus hob er die Unterschiede der politischen Kommunikation der beiden Länder hervor: während in Deutschland sehr durchdacht und vorsichtig kommuniziert wird, werden die Sachverhalte in Ungarn direkter und robuster angesprochen. Die Verbundenheit mit der eigenen Kultur und Geschichte sei etwas, was Deutschland von Ungarn lernen könnte – sagte Mai.

Einer der wichtigsten Aspekte der nachfolgenden Podiumsdiskussion, die von der Projektmanagerin für Begabtenförderung und Kommunikation, Frau Kinga Dörstelmann-Fodor, moderiert wurde, war die Bedeutung des gegenseitigen Verständnisses. Zoltán Szalai, gefragt nach der Entstehungsgeschichte des Buches, betonte, dass es ursprünglich für das ungarische Publikum entstand, das seit 30 Jahren endlich in Freiheit leben kann, nachdem sie zwei Diktaturen durchmachen musste. Die neue Generation müsse wissen und lernen, wer wir sind, woher wir kommen und wie wir gegenwärtig handeln und warum, so der Generaldirektor des MCC. Überdies unterstrich er, dass der Sammelband chronologisch und typologisch aufgebaut ist, damit man die Charakteristika Ungarns besser verstehen kann. Szalai sprach außerdem die divergierenden Vorstellungen über die Zukunft der Europäischen Union an: die Vereinigten Staaten von Europa auf der einen und die Union der Nationalstaaten auf der anderen Seite. Während viele Mitgliedstaaten ersteres unterstützen würden, lehne Ungarn diese Idee ab, was unter anderem auf die Geschichte des Landes zurückzuführen sei. Ferner würde sich dabei oft die Frage stellen, welche Ziele mit welchen Mitteln und welcher Kompetenzverteilung verfolgt werden. Über solche Fragen müsse man offen reden und dieser Diskussion müssen sich die Mitgliedstaaten stellen.

Diesen Faden nahm Klaus-Rüdiger Mai auf und betonte die Wichtigkeit der Chronologie, die für besseres Verständnis der universellen Geschichte und des jeweiligen Gegenübers von großer Bedeutung wäre. Darüber hinaus ist der Schriftsteller der Meinung, dass die meisten Mitgliedstaaten an einem Vereinigten Europa aufgrund ihrer kulturellen Unterschiede nicht interessiert seien, weshalb es nie zu einem solchen Konzept kommen würde.

Auf die Frage über das Christentum in Ungarn antwortete Szalai, dass das Kulturchristentum in der ungarischen Bevölkerung eine wichtige Rolle spiele, aber das hinge nicht mit dem persönlichen Glauben zusammen. Gleichermaßen hob Mai hervor, dass die deutsche Politik zwar auf das Erbe des Christentums zurückginge, jedoch sei in Deutschland dieser Umstand derzeit weder für die Politik noch für die Gesellschaft prägend.

Abschließend wurden einige Fragen aus dem Publikum beantwortet, welche die allgemeine Wahrnehmung zwischen Ungarn und Deutschland unter die Lupe nahmen. Auf das Schlusswort von Dezső B. Szabó, dem Leiter des Liszt Instituts, folgte ein Empfang, in dessen Rahmen die konstruktiven Diskussionen fortgeführt wurden.

Die Buchpräsentation fand im Rahmen einer von dem Deutsch-Ungarischen Institut organisierten Studienreise, an der zehn Studierende des Mathias Corvinus Collegium teilnahmen, statt. Sie hatten an drei Tagen 12 Programmpunkte: ein Treffen im Stuttgarter Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung, im Institut für Auslandsbeziehungen, im Generalkonsulat von Ungarn in Stuttgart, im Liszt-Institut – Ungarisches Kulturzentrum Stuttgart, ein Abendessen mit dem apl. Prof. der Universität Freiburg, Dr. Michael Prosser-Schell, ein Arbeitsfrühstück mit dem Bundestagsabgeordnete Steffen Bilger (CDU), Besuch in der Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, eine Führung im Residenzschloss Ludwigsburg, ein Treffen im Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg, Besuch im Deutsch-Französischen Institut und in der Baden-Württemberg Stiftung sowie bei der Stuttgarter Zeitung. Außerdem konnten die Studierende die Arbeit des baden-württembergischen Landtags während einer Führung kennenlernen.

 

Bilder: Péter Fenyvesi