Brüssel, Berlin, Budapest, Bonn – auch mich verbinden mit diesen vier Städten Stationen meiner Biographie und Aktivitäten in Politik und Gesellschaft, die mich nachhaltig prägten. Alle Schauplätze haben ihren eigenen Genius Loci und stehen für unterschiedliche Politikansätze. Von Bence Bauer.
Geboren in Budapest, doch in Deutschland aufgewachsen, lernte ich schnell die interkulturellen Unterschiede im Denken und Handeln von Deutschen und Ungarn kennen. Dank meiner ungarndeutschen Ahnen war ich zwar schon seit meiner Kindheit mit Traditionen und Kultur meiner Vorfahren vertraut, doch erlebte ich erst in Deutschland, wie nah und fern zugleich die Mentalitäten dieser beiden Gesellschaften doch manchmal sind. Erst wenn man wirklich lange Zeit in Deutschland gelebt, studiert oder gearbeitet hat, ist man als Außenstehender in der Lage, das Land mit seinen unterschiedlichsten Facetten zu verstehen und richtig einzuordnen. Dies gilt für das Privatleben wie auch für die Politik.
In Berlin herrscht ein rauer Wind und die Politikgestaltung geschieht anders als im mondänen, doch zugleich traditionsbewussten Budapest oder im behaglichen und jovialen Bonn. Die deutsche Kapitale schickte sich zu Beginn der 2000er Jahre an, die Berliner Republik in Echtzeit zu verwirklichen. Die Politik in dieser pulsierenden Metropole verlangt ganz andere Ansätze als man in den bequemen westdeutschen Städten gewohnt war. Alles ist schneller, oberflächlicher, unfreundlicher geworden und die Gefahr, sich in der „Blase“ zu vergessen, ist nicht zu verkennen. Die deutschen Machtstrukturen haben sich von Bonn nach Berlin verschoben und nach gut 20 Jahren erkennt man auch aus Mitteleuropa längst, was dies bedeutet.
Es verlangt einfach mehr Kraft, Innovation und Ausdauer, in Berlin gehört und verstanden zu werden und die Arbeit in der Politik wurde dadurch komplexer – auch die meinige, die im Umfeld der CDU angesiedelt war.
Zurück in Bonn erkennt man den echten Unterschied. Das bundesrepublikanische Bildungsbürgertum in der Rheinmetropole und die neue Internationalität prägen die einstige Hauptstadt. Doch ist die Stadt Beethovens für das ungarische Denken nicht nur geographisch, sondern auch seelisch weiter entfernt als Berlin. Die Stadt, deren Politik der Nachkriegsjahre und darüber hinaus Konrad Adenauer maßgeblich bestimmte, steht für die alte Bundesrepublik mit all ihren menschlichen Zügen und unmittelbaren Zugängen, ihren kurzen Wegen und einer gelebten rheinischen Christdemokratie.
Brüssel hingegen ist die reine „Blase“. Die Stadt als Ort des konzentrierten Politikbetriebs spuckt die Menschenmassen ein und aus. Auf Ideen und Politiktheorien kommt es nicht mehr an, gefragt sind Kontaktfreude, Ausdauer, Hartnäckigkeit und ein wenig auch Rücksichtslosigkeit. Die Stadt verlangt nach einem anderen Menschentypus und nicht nur die Mitteleuropäer fremdeln mit dieser Metropole. Europäische Politik in Brüssel habe ich im Kreise der Europäischen Volkspartei hautnah erlebt und verfolgt. In der europäischen Hauptstadt kann man direkt erkennen und anschaulich verfolgen, wie Netzwerke und Machtstrukturen das Europa von heute bestimmen.
Nach mehr als 20 Jahren bin ich schließlich 2008 nach Budapest heimgekehrt. Sehr schnell schloss ich mich der damaligen großen Oppositionspartei an, die sich den Gedanken eines bürgerlichen Ungarns auf die Fahnen schrieb. Im internationalen und Jugendbereich von Fidesz tätig, war der Kontakt mit der Konrad-Adenauer-Stiftung geradezu selbsterklärend. So kam ich zur Stiftung und verbrachte dann die nächsten zehn Jahre in der Funktion des Projektkoordinators und später Stellvertreters des Leiters des Auslandsbüros. Diese Aufgabe ist fast schon ein Scharnier und Relais zwischen Deutschen und Ungarn, deutscher und ungarischer Politik, deutschen und ungarischen Politikansätzen, Politikverständnissen und Politikerwartungen. Praktisch geschah dies durch Bildungstransfer, Begabtenförderungs- und Nachwuchsprogramme sowie durch die feinen Verästelungen politischer Kontakte und partnerschaftlicher Zugänge. Hier waren die Dialog- und Begegnungsformate politischer Entscheidungsträger eine feste Größe – sei dies in Brüssel, Berlin, Bonn, Budapest und in ganz Europa. Das wichtigste ist und bleibt, Menschen zusammenzubringen und Vertrauen zu schaffen. Dafür brauchen wir stabile, belastbare und nachhaltige Netzwerke in allen Teilen der Gesellschaft, besonders aber in der Politik – in beiden Ländern.
Aber was hat das alles mit dem Institut zu tun? Wir arbeiten an einem langfristig ausgerichteten Ansatz, um Politik, Gesellschaft und Wissenschaft eines anderen Landes zu durchdringen und anderen verständlich zu machen. Dann erst sind wir wohl befähigt, Verständnis und Vertrauen zu entwickeln. Dies habe ich in Brüssel, Berlin, Bonn und Budapest gesehen, verstanden und schließlich angewendet.
Das am 1. Dezember 2020 neugegründete Deutsch-Ungarische Institut für Europäische Zusammenarbeit soll genau anhand dieser Vorgaben ein Forum für den akademischen, wissenschaftlichen und politischen Dialog zwischen Deutschland und Ungarn bieten und Entscheidungsträger wie auch junge Menschen beider Länder mit Themen, Debatten, Prozessen, Denkmustern und Ideen des jeweils anderen Landes bekanntmachen. Dabei spielen Informationsaustausch, Netzwerkbildung sowie Nachwuchs- und Begabtenförderung eine zentrale Rolle. Das Institut wird zu diesem Zwecke Publikationen und Hintergrundberichte zu ausgewählten Fragestellungen veröffentlichen, Konferenzen, Symposien und Expertengespräche organisieren wie auch deutschsprachiges akademisches Personal einladen und in die Arbeit des Instituts wie auch in das öffentliche und wissenschaftliche Leben Ungarns integrieren. Ziel ist es, mit diesem neuen Forum des deutsch-ungarischen Diskurses bestehende Kooperationen zu vertiefen und neue Ebenen des bilateralen Miteinanders zu eröffnen.
Der Autor ist der Direktor des Deutsch-Ungarischen Instituts für Europäische Zusammenarbeit am Mathias Corvinus Collegium.
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