Herr Tichy, Sie betreiben eines der nicht allzu vielen lesbaren deutschen Medien. Wie geht es Ihnen in der deutschen Medienszene? Wie sehen Sie die deutsche Medienlandschaft und Ihre Rolle dabei?

Die deutsche Medienlandschaft hat sich über einen Zeitraum von ungefähr 20 Jahren in ihrem Meinungsspektrum sehr verengt. Eine Kollegin von der linksradikalen Süddeutschen Zeitung nannte das selbstkritisch einmal eine „freiwillige Gleichschaltung”. Dazu muss man wissen, dass Gleichschaltung die Mechanik war, mit der Göbbels im dritten Reich die Journalisten gängelte. Eine freiwillige Gleichschaltung ist in dem Sinne ein interessanter Begriff, weil er zeigt, dass die Journalisten von sich aus, aus irgendeinem Grund, über den wir spekulieren können, begonnen haben, freiwillig in die selbe Richtung und ohne Widerspruch zu sich selbst, zu ihrer Profession, zu arbeiten. Diese freiwillige Gleichschaltung hat sich in den vergangenen Jahren noch verschärft. Auch wenn es mir gut geht, ich bin nicht froh darüber. Aber es war die Möglichkeit für mich, ein Unternehmen zu gründen in einem Bereich, in dem man ansonsten sehr, sehr viel Geld braucht, das ich nicht habe. Es gibt einen Spruch aus den 50er Jahren, es sagte damals der konservative Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Pressefreiheit in Deutschland einiger weniger, sehr reicher Familien”. Denen gehöre ich nicht an und trotzdem ist es mir gelungen, durch diese Beschränkung des Meinungsspektrums ein ganz ansehnliches kleines Unternehmen zu gründen. Da fühle ich mich wohl, wenn ich gut drauf bin. Natürlich gibt es auch Tage, an denen ich mich traurig oder bedrückt fühle, weil natürlich die Feindseligkeit, die einem entgegenschlägt, enorm ist. Es ist ja zu dieser Gleichschaltung etwas dazugekommen, das man die Bestrafung des Außenseiters nennen könnte, nämlich: Stillschweigen, agressives Beschimpfen, Verleumden, Versuche, ihm wirtschaftlich zu schaden. Es ist also schon schwierig, in Deutschland eine andere Position zu beziehen, aber es ist möglich und ich mache es mit Spaß.

Es drückt sich mir seit einiger Zeit die Frage auf: Deutschland ist in der Sanktionspolitik förmlich eingeknickt. Der Widerstand, der in Fragen der Energiesanktionen mal eigen war, ist fort. Zumal habe ich schon in den ersten Tagen des Krieges führende Journalisten wie Anne Will oder Markus Lanz Politiker fragen hören „Das heißt doch ja, dass wir keinen Kubikmeter russischen Gas mehr kaufen?” Daher die Frage: inwiefern ist dieses Einknicken den Medien zu verdanken?

Es ist wie immer eine Grundhaltung, die von einer gewissen mangelnden geistigen Durchdringung der Probleme gekennzeichnet ist. Der erste Schritt, die massive Maßgabe, erfolgte ja durch Angela Merkel, die die Atomkraftwerke bis auf den letzten läppischen Rest abschaltete und weil das noch nicht reicht auch die Kohlekraftwerke abschaltete und weil wir trotzdem irgendwie Energie brauchen, diese zusätzliche Energie sich aus Russland besorgt hat. Wenn man in Deutschland von erneuerbaren Energien, also von Wind und Sonne spricht, dann meint man russisches Gas, denn nachts scheint keine Sonne und im Winter, der in Deutschland schrecklich lang und kalt ist, haben weder Sonne noch Wind einen nennenswerten Beitrag von mehr als 1-2 Prozent zur Energieversorgung. Das alles wird durch russisches Gas ausgeglichen und der Plan war vor dem Krieg, diesen Ausgleich noch zu verstärken durch 50-60 zusätzliche Gaskraftwerke. Also eine massive Verengung des Energiespektrums auf Russland. Das ist neu in der deutschen Geschichte, denn in der Vergangenheit war es eigentlich ein Credo der Energiepolitik, sich nicht von einem abhängig zu machen, sondern durch eine Vielzahl von Lieferanten eine Unabhängigkeit zu bewahren: Öl aus Saudi-Arabien, Öl aus Venezuela, Kohle aus Australien oder Kolumbien, eigene Kohle, eigenes Gas, Kernenergie… All das hat man rabiat reduziert zugunsten des russischen Gases. Und wenn man dann sagt, wir nehmen keinen Kubikmeter Gas mehr, dann muss man sagen, es gehen in Deutschland die Lichter aus. Es ist eigentlich eine per se lächerliche Aussage, sie hat nichts Politisches an sich, sie hat nichts Wirtschaftliches an sich. Wer eine solche Aussage trifft, trifft eine Aussage, die man eigentlich unter der Abteilung „Unsinn” nur noch belächeln kann.

Sie sind vom Handwerk her Wirtschaftsjournalist, unzwar ein sehr verdienter. Welche Perspektiven sehen Sie für die deutsche Wirtschaft auch im Hinblick auf den Euro, dessen Niedergang die EZB momentan praktisch nur zusieht?

Die deutsche Wirtschaft hatte immer eine schwierige Lage, weil die deutsche Mark eine sehr harte Währung war, und wer eine harte Währung hat, der ist beim Export gefordert. Denn es bedeutet, dass der Preis deutscher Produkte in der Währung anderer Länder sehr hoch ist. Trotzdem hat Deutschland immer durch die Politik einer harten Währung dieses Wirtschaftswunder produziert. Denn auf der anderen Seite ist eine harte Währung Ausdruck von Stabilität, Zinsen waren vergleichsweise niedrig und der ständige Druck des Wettbewerbs hat die Wirtschaft immer leistungsfähiger gemacht. Jetzt sind wir seit einigen Jahren in der Situation, dass wir nur den Euro haben. Der ist bestimmt über eine Zentralbank, die die Interessen der südeuropäischen Länder verfolgt und die brauchen einen billigen Euro und niedrige Zinsen, um ihre ausufernden Staatsverschuldungen finanzieren zu können. Die Zeche zahlt Deutschland, es ist der Verlierer im Euro und die Zukunft der deutschen Wirtschaft verdüstert sich mit jedem Tag. Dazu kommt die objektive Gaskrise: 16 Prozent der deutschen Unternehmen sagen, dass sie ihre Produktion bereits reduziert oder ganz eingestellt haben. Das ist eine erschreckende Zahl.

Sie haben die deutsche Energiekrise eine „hausgemachte” Energiekrise genannt. Welche Lösungen sehen Sie für diese Energiekrise und wenn ich Sie mal ganz direkt zum neuen europäischen Gasnotfallplan fragen darf: heißt das eigentlich, dass Deutschland unser Gas wegnehmen will?

Die Deutschen wollen jetzt eigentlich europäische Solidarität und Solidarität ist ja immer eine Beschönigung des Begriffs „ich nehme Ihnen etwas weg, weil ich arm bin”. Nun kann man Solidarität im zwischenmenschlichen Bereich natürlich verstehen, es ist ein wertvoller menschlicher Akt, wir sind keine Einzelwesen, wir sind Gesellschaftswesen. Aber zwischenstaatliche Solidarität ist schwierig. Solidarität bedeutet aber auch: was macht man mit jemandem, der sich selbst zerstört? Was macht man mit einem Menschen, der seine eigene persönliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zerstört hat und dann sagt, gib du mir Geld, das ich verschwendet habe? Man könnte in der Bibel nachschlagen und käme zu dem Bild mit den Talenten. Du solltest deine Talente nutzen und wer seinen Weinberg nicht pflegt, der soll mit seinem kaputten Weinberg die Folgen tragen. Wir haben unseren Weinberg zerstört, weil wir die Energieinfrastruktur dieses Landes, die sehr komplex war, zerstört haben. Es geht nicht nur um die Menge von Strom oder Gas, es geht auch um die Art und Weise, wie sie verteilt wird innerhalb des Landes. Also wir haben unseren Weinberg zerstört, wir zerstören ihn weiter, indem wir viele Industriezweige benachteiligen und abschaffen wollen, wie die Automobilindustrie und verlangen jetzt Solidarität von anderen Länden. Es ist kein Wunder, dass sie jetzt ein bisschen irritiert schauen im ersten Schritt, im zweiten Schritt lachen und im dritten Schritt sagen: ihr seid doch selbst verantwortlich, macht was ihr wollt.

Sehen Sie aber eine andere Lösung für die deutsche Energiekrise, die nicht mit unserem Gas zusammenhängt? Schließlich würde eine deutsche Wirtschaftskrise durch die Interdependenz unserer Wirtschaft auch Mitteleuropa in den Ruin treiben.

Es gäbe einen Ausweg aus dieser Krise, aber der ist kurzfristig nicht machbar. Einen entsprechenden Plan müsste man vorlegen. Mit einem Plan, wie wir in 1-2-3-4 Jahren unsere Energiekrise lösen, könnte man in der EU tatsächlich Solidarität einfordern, indem wir sagen, gewissermaßen nicht „schenk uns dein Gas”, sondern „leih uns dein Gas”, wir werden uns dann auf anderer Weise, wenn wir es wieder im Griff haben, erkenntlich zeigen. Was wären Elemente? Das erste Element wäre natürlich: wir müssten unsere Kernkraftwerke länger betreiben. Jetzt sind wir in der wahnsinnigen Situation, dass wir im Winter, wenn es besonders kalt wird, unsere letzten drei funktionsfähigen Kernkraftwerke abschalten. Wahrscheinlich versteht das kein Mensch in der Welt, wieso man im Winter die Heizung ausschaltet und dann um Wärme bettelt. Wir könnten weitere mindestens drei, vielleicht sogar noch mehr Kernkraftwerke, die wir abgeschaltet haben, wieder in Gang setzen. Auch das wäre möglich. Es wäre im Winter etwas holprig, aber es würde wahrscheinlich helfen, den Winter zu überbrücken. Wir könnten zum Beispiel Gasförderung in Deutschland wieder aufnehmen. Es ist so, dass wir in Deutschland sehr viel Gas im Land Niedersachsen haben, die Gasförderungsanlagen stehen noch, aber sie wurden stillgelegt, weil wir der Meinung sind, es ist zwar gut, Gas aus Russland, aus Katar und aus der USA zu holen, aber unser eigenes Gas muss im Boden bleiben, weil wir finden, dass Gas in den Boden gehört und nicht in die Luft. Das ist auch eine Sache, die man vielleicht anderen Menschen nicht erklären kann, warum es gut ist, mit derselben Technologie gewonnenes Gas aus den USA teuer zu importieren und auf dem Weg von den USA bis hierher geht auch ziemlich viel verloren, aber unser eigenes Gas in der Erde zu lassen. Es ist auch schwierig, unseren niederländischen Nachbarn zu erklären, die uns teilweise mit Gas versorgen. Denn deren Gas kommt aus derselben Gesteinsschicht, wir wollen es nicht anzapfen, aber die Niederländer sollen es uns schenken. Das ist eine Politik, die schwer zu erklären ist. Wir könnten auch andere Technologien einsetzen, die wir hatten, zum Beispiel das CO2, das durch das Verbrennen von Kohle entsteht, in der Erde zu lagern. Auch das wollen wir nicht, obwohl die Technologie in Deutschland entwickelt und serienreif hergestellt wurde. Das heißt mit anderen Worten: wir hätten eine Menge Energiequellen, wenn wir wollten. Sie sind nicht sofort aktivierbar, das wird jeder Mensch verstehen. Das sind große technische Anlagen, man braucht Leitungsnetze, man braucht Brennstoffe für die Kernkraftwerke, aber es wäre ein Plan, mit dem wir anderen Ländern sagen könnten: guck, wir haben ein Problem, wir sind selbst schuld, wir lösen das Problem. Bis wir die Lösung haben, könnten wir vielleicht miteinander sprechen. Aber so, wie wir es machen, wir haben uns das Bein abgesägt, aber wir möchten deswegen gerne von dir dein Auto deswegen, wird es schwierig sein.

Ich würde Sie auch gerne um eine innenpolitische Einschätzung bitten: wie stabil ist die Ampel?

Die Stärke der Ampel ist die Schwäche der Opposition. Die größte Oppositionspartei, die CDU/CSU, ist gelähmt aus mehreren Gründen: zum einen haben sie diese fehlerhaften energiepolitischen Beschlüsse zu verantworten, sie sind ja nicht vom Himmel gefallen, sondern von Angela Merkel exekutiert worden. Die CDU war bislang nicht in der Lage, sich von Angela Merkel und ihrer Art von Politik zu distanzieren. Das macht sie moralisch angreifbar. Immer, wenn ein CDU-Politiker sagt, wir möchten mehr Kernenergie, wird man ihm Plakate entgegenhalten, auf denen die CDU ganz stolz verkündet hat, dass sie die Kernkraftwerke ganz schnell abschaltet. Nun ist ein Kernkraftwerk, aber natürlich auch ein Kohlekraftwerk, kein Wasserkessel, den man schnell ab- und anschalten kann, sondern es sind komplexe logistische und technologische Phänomene und die Zerstörung der Industrielandschaft ist ein Produkt der CDU. Die CDU hat sich noch nicht in aller Entschiedenheit zu dieser Politik bekannt, wie ich sie ihn etwa beschrieben habe, weil sie sich vor sich selbst schämt, weil sie die Folgen ihres Handelns beschönigen will, und deswegen ist sie unterwürfig, und die Unterwürfigkeit der CDU ist die Stärke der Ampel.

Wir sind in Ungarn, dem in den letzten Jahren eine übermäßige Bedeutung in der europäischen Politik zugekommen ist. Wie Sie wissen, steht Ungarn ständig zwischen dem Wahren der eigenen Interessen, z.B. in der Frage um Öl und Gas, und der europäischen Kooperation. Wir kriegen entweder nicht Genug Öl und Gas oder keine EU-Gelder. Zu welcher Politik würden Sie Ungarn in dieser Situation raten?

Einem ungarischen Politiker aus deutscher Sicht einen Rat zu geben ist eine sehr schwierige Angelegenheit, weil das Missbehagen an der ungarischen Politik wird ja nicht durch die Öl- und Gaspolitik ausgesteuert, sondern über die Gesellschafts- und Migrationspolitik. Und da Ungarn hier eine Politik vollzieht, die dem europäischen Mainstream widerspricht, wird sich das auf allen Ebenen negativ niederschlagen. Insofern ist die Lage der Ungarn in der Europäischen Union sehr schwierig, die ungarische Regierung kann eigentlich nur versuchen, ein möglichst hohes Maß an eigener Autonomie zu entwickeln, um sich diesem seltsamen Spiel zu entziehen, dass man für etwas bestraft wird, was man eigentlich gar nicht getan hat. Das ist Politik.

Was sind ansonsten Ihre Eindrücke von Ungarn?

Ich bin überrascht, wie schön die Städte sind, die ich gesehen habe. Es ist natürlich so, dass ich vieles sehe, an dem zu tun ist, aber es ist eigentlich eine Chance. Ich bin auch überrascht über die positiven wirtschaftlichen Daten, die Ungarn aufweist. Das zeigt ja, dass die Politik nicht nur von Ungarn, sondern auch der mitteleuropäischen Staaten, zu denen auf jeden Fall auch Tschechien und Polen gehören, wohl vernünftiger ist, als eine sehr träge deutsche Politik, die ja nicht einmal in der Lage ist, flächendeckend ein vernünftiges Internet auszubauen. Eine albanische Studentin sagte mir vor Kurzem: komisch, bei uns in Albanien ist das Internet viel besser als in Hamburg…