Katalin Novák gestaltete als Ministerin die Familienpolitik von Viktor Orbán. Jetzt will sie ungarische Staatspräsidentin werden.

Es gab einen großen gesellschaftlichen Widerhall als die Regierungsfraktionen in der Ungarischen Nationalversammlung kurz vor Weihnachten des vergangen Jahres die Familienministein Katalin Novák (44) als Kandidatin für das Amt des ungarischen Staatspräsidenten nominierten. Mit der Entscheidung für Novák weht ein frischer Wind in der ungarischen Politik. Ihre Kandidatur ist auch ein Angebot an junge Frauen, Politik stärker mitzugestalten. Die Nominierung ist darüber hinaus die beste Reaktion auf den bisweilen vorgetragenen Vorwurf, dass Frauen in der Regierungspartei unterrepräsentiert seien. Die Opposition wurde offensichtlich auf dem falschen Fuß erwischt und kritisierte im Wesentlichen nur die Nähe der Kandidatin zu Fidesz.

Ähnlich wie in Deutschland ist das Amt des Staatspräsidenten weitgehend auf repräsentative Aufgaben beschränkt. Der Präsident soll nach Art. 9 des Ungarischen Grundgesetzes die Einheit der Nation zum Ausdruck bringen und über die demokratische Funktionsweise der staatlichen Ordnung wachen. Der Präsident fertigt die vom Parlament beschlossenen Gesetze aus und kann bei Zweifeln hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit eine verfassungsgerichtliche Normenkontrolle beantragen oder Gesetze an die Nationalversammlung zur abermaligen Befassung zurückverweisen. Der Präsident ruft die nach den Wahlen neu zu konstituierende Ungarische Nationalversammlung zusammen und schlägt dem Parlament den Ministerpräsidenten vor, der dann dort formal gewählt werden muss. Den Amtseid des Ministerpräsidenten nimmt wie in Deutschland der Parlamentspräsident ab.

Die Wahl des Staatspräsidenten erfolgt gemäß Grundgesetz wie in der Bundesrepublik durch ein parlamentarisches Verfahren. Eine eigens zusammengerufene Bundesversammlung gibt es in Ungarn nicht, da das Land nicht föderal aufgebaut ist und keine Landesparlamente hat. Die ungarischen regionalen Komitatsversammlungen sind kommunale Vertretungsorgane und haben keinen Parlamentscharakter. Der Präsident wird von der ungarischen Nationalversammlung gewählt, der Kandidat muss dabei im ersten Wahlgang eine Zweidrittelmehrheit erreichen, in einem eventuellen zweiten Wahlgang reicht die einfache Mehrheit. Die Amtsdauer beträgt wie in Deutschland fünf Jahre, eine einmalige Wiederwahl ist zulässig. Die Wahl des Staatspräsidenten muss laut Verfassung in einer Zeitspanne zwischen 60 und 30 Tagen vor dem Mandatsende des Vorgängers erfolgen. Die Amtszeit von János Áder, Präsident seit 2012, endet am 10. Mai 2022, der Nachfolger muss also zwischen dem 10. März und dem 10. April bestimmt werden. Wegen der für den 3. April 2022 angesetzten Wahl zur Ungarischen Nationalversammlung und der Bestimmungen des ungarischen Grundgesetzes wäre eine Wahl durch das neue Parlament, wie von einigen Oppositionspolitikern gefordert, verfassungsmäßig gar nicht möglich. Die neue Nationalversammlung kann sich nämlich erst nach dem endgültigen amtlichen Endergebnis und Ablauf aller Widerspruchsfristen konstituieren, frühestens Ende April 2022. Damit muss zwingend die Staatspräsidentenwahl noch von der aktuellen Nationalversammlung vorgenommen werden, sie findet am 10. März statt.

Novák ist eine gläubige Calvinistin

Katalin Novák wurde am 6. September 1977 in Szeged geboren, sie stammt aus einer Ärztefamilie. Nach dem Studienabschluss in Volkswirtschaft begann sie ihre Karriere als Regierungsbeamte im Außenministerium. Verheiratet mit dem Wirtschaftswissenschaftler István Veres hat die gläubige Calvinistin immer schon die Auffassung vertreten, dass Familie und Beruf eine harmonische Einheit bilden sollten. Mit der Geburt ihres ersten Kindes, sie hat zwei Söhne und eine Tochter, ging sie für sechs Jahre in Elternzeit, um 2010 in den Beruf zurückzukehren. Als Beraterin des damaligen ungarischen Außenministers János Martonyi und später als Kabinettschefin des Ministers für Humanressourcen Zoltán Balog sammelte sie wichtige Erfahrungen, Kontakte und vor allem ein Verständnis für die deutschsprachige Welt. Die Politikerin spricht aber nicht nur fließend Deutsch, sondern auch Englisch sowie Französisch und war in den letzten Jahren für die Beziehungen auch zu Frankreich zuständig. Als Anerkennung ihrer Arbeit erhielt sie 2019 das Ritterkreuz der Französischen Ehrenlegion und 2020 das Komturkreuz der Republik Polen.

Die Politikerin gilt somit als wichtige Brücke zu den europäischen Partnern. Es ist ihr gelungen, belastbare Kommunikationskanäle nach Deutschland und Frankreich aufzubauen. Im politischen Berlin war sie deshalb immer wieder eine angesehene und respektierte Gesprächspartnerin, die durch Fachkenntnisse, fundiertes Wissen und ein großes internationales Netzwerk zu überzeugen vermochte. Dabei half ihr die Tatsache, dass sie Deutsch nicht nur aus der Schule kannte, sondern selbst anderthalb Jahre zusammen mit ihrer Familie in Schmitten im Taunus gelebt hat und den deutschen Alltag und das Leben im Land aus eigener Anschauung gut kennt

2014 stieg sie zur Staatssekretärin für Familienangelegenheiten auf und wurde so auch zur Gestalterin und zum „freundlichen Gesicht“ der Familienpolitik des Landes. Von Oktober 2020 bis zu ihrem - durch ihre Nominierung zur Staatspräsidentin begründeten - Rücktritt im Dezember 2021 verantwortete sie diesen Bereich als Familienministerin. Seit 2018 ist sie Mitglied der Ungarischen Nationalversammlung. Von 2017 bis 2021 amtierte sie als eine der vier stellvertretenden Parteivorsitzenden von Fidesz und war hier unter anderem für die internationalen Parteikontakte zuständig, auch zur CDU/CSU. Nach dem Forbes-Barometer galt sie in den Jahren 2020 und 2021 als einflussreichste Frau des öffentlichen Lebens in Ungarn. Die Marathon-Läuferin zählt zum engsten Kreis um Ministerpräsident Viktor Orbán und hat den Ruf einer begnadeten Netzwerkerin.

Die Ungarn gelten generell als kinderfreundlich, das Land verfügt über eine bemerkenswerte Dichte an Spielplätzen, Kindertheatern und Kinderprogrammen. Die weit überwiegende Anzahl der jungen Ungarn will mehrere Kinder, häufig bekommen sie diese jedoch sehr spät oder aber finanzielle Erwägungen spielen eine Rolle. Die Regierungspartei unter Führung von Viktor Orbán hat dieses gesellschaftliche Dilemma erkannt und verfolgte - nicht erst im Zuge der europäischen Migrationskrise - sehr früh eine weitsichtige Strategie: Nicht durch Migration, sondern durch Geburten soll der demographische Wandel bekämpft werden. Es war vorrangig die Aufgabe von Katalin Novák, diese Zielvorgaben zu implementieren. Die Grundvoraussetzungen dafür sind in Ungarn gegeben: Ein kinderfreundliches Land mit guter Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Der Wunsch der Ungarn nach mehreren Kindern ist groß. Dies erfolgt in einem Umfeld, in der über Generationen hinweg Menschen füreinander Verantwortung tragen, ungarische Großeltern können in Ungarn in Elternzeit gehen (!), um ihre Kinder, die jungen Eltern, zu unterstützen. Ziel sei es, die Hürden bei der Familiengründung junger Menschen zu beseitigen, so das Motto von Novák.

Seit der Regierungsübernahme im Jahre 2010 legte die Regierung stufenweise ein Maßnahmenbündel vor, das international seinesgleichen sucht. Aktuell werden rund 6% des BIP hierfür verwandt. Familien mit Kindern werden nicht nur finanziell unterstützt, sondern es gibt auch eine Reihe von Anreizen gerade für junge Mütter, um einer Arbeit nachgehen zu können. Dabei spielt die Philosophie der ungarischen Regierung, im Gegensatz zur „Welfare-Gesellschaft“ eine „Workfare-Gesellschaft“ zu etablieren, eine große Rolle. Nicht wohltätige Subventionen, sondern Steuererleichterungen für Berufstätige und ausreichend Krippen- und Kindergartenplätze stehen dabei im Mittelpunkt. Um nur einige Beispiele zu nennen: Mütter bekommen in den ersten sechs Monaten nach Geburt des Kindes ein Elterngelt, das etwa 30 % über ihrem bisherigen Gehalt liegt, danach sinkt das Elterngeld, aber maximal bis zur Höhe von ungefähr 60% eines Durchschnittsgehalts. Kehren die Frauen dann in den Beruf zurück, können sie, bis das Kind zwei Jahre alt ist, dieses komplette Elterngeld neben ihrem Gehalt behalten. Arbeitgeber zahlen für Mütter keine Sozialversicherungsbeiträge bevor deren Kinder zwei Jahre alt geworden sind. Familien mit drei Kindern erhalten Steuernachlässe von maximal 300 Euro im Monat, zusätzlich wird die Mutter von vier Kindern lebenslang von der Einkommenssteuer befreit. Junge Familien können einen frei verfügbaren Babykredit in Höhe von 30.000 Euro aufnehmen, dessen Tilgung gestundet und bei Geburt von drei Kindern komplett erlassen wird. Zudem erhalten sie bei drei Kindern ein bezuschusstes Baugeld in derselben Höhe (bei weniger Kindern etwas weniger), noch höhere festverzinsliche Hypothekenkredite und einen 7.000 Euro Zuschuss beim Kauf eines PKW mit sieben Sitzen. Eltern auch mit nur einem Kind erhalten einen Eigenheimrenovierungszuschuss in Höhe von etwa 8.000 Euro.

Die vielen weiteren Maßnahmen aufzuzählen, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, was aber noch wichtiger ist: Sie haben zu sichtbaren Erfolgen geführt. Die Fruchtbarkeitsrate ist von 1,23 im Jahre 2010 auf nunmehr 1,59 gestiegen, was den höchsten Anstieg in der EU darstellt. Ebenso hat sich die Zahl der Eheschließungen seit 2010 verdoppelt, wohingegen die Schwangerschaftsabbrüche um 40% abnahmen. Die familienpolitischen Maßnahmen gelten nicht nur für die Ungarn, sondern für alle EU-Bürger im Lande. Vorankommen durch Arbeit, Schaffung von Eigenheim, Eigentum und Werten, Geburt von Kindern, Vereinbarkeit von Kind und Karriere – ein Lebensentwurf, der auch für viele Menschen aus Europa attraktiv sein könnte und den Katalin Novák selbst in authentischer Weise lebt und verwirklicht. Diese Leitgedanken machen das heutige Ungarn aus und die Grundideen einer innovativen und in weiten Teilen Europas eher unbekannten Migrations-, Familien- und Wirtschaftspolitik sind zugleich eine Einladung an andere Länder, von den Erfahrungen der Ungarn im Sinne von „best practice“ zu profitieren. Dass Ungarn gerade wegen dieses Politikansatzes immer wieder von vielen linksgerichteten Ideologen angegriffen wird, vermag nicht zu verwundern, denn die ungarische Regierungspolitik ist schlichtweg das „Gegenteil der identitätspolitischen Linken“ (Andreas Rödder).

Ein Beispiel für andere junge Frauen

Mit Katalin Novák, die sich aller Voraussicht nach gegen den von der vereinigten Opposition von Sozialisten, Sozialdemokraten, Grünen, Liberalen und Rechtsextremen aufgestellten 79-jährigen Ex-Banker Péter Róna wird durchsetzen können, kommt ein neues, junges und weibliches Gesicht an die Spitze des Landes. Ihr beherztes Auftreten und ihre sprachliche und inhaltliche Souveränität können das Land Ungarn bekannter, sympathischer und weltgewandter machen. Dies ist angesichts der negativen internationalen Berichterstattung von besonderer politischer Relevanz. Ihre Kandidatur will die 44-Jährige auch als Angebot an junge Frauen verstanden wissen, sich für Politik zu interessieren, sich etwas zuzutrauen oder einfach nur an die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu glauben. Dies ist den Ungarn ein Herzensanliegen, die Familienpolitik der Regierung wird von einer überwältigenden Mehrheit der Menschen im Lande unterstützt und ist unumstritten. Mit Katalin Novák scheinen die Ungarn nun auch eine Persönlichkeit gefunden zu haben, die ihre Anliegen und ihre Denkweise authentisch vertritt. Es ist davon auszugehen, dass Novák den ihr eigenen Elan und ihre Eloquenz auch als Staatspräsidentin an den Tag legen wird.