Am 1. September 2024 richtete das Deutsch-Ungarische Institut für Europäische Zusammenarbeit am Mathias Corvinus Collegium (MCC) einen Wahlabend anlässlich der bedeutenden Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen aus. Trotz der vergleichsweise niedrigen Einwohnerzahl – in Thüringen leben gut 2, in Sachsen 4 Millionen der 83 Millionen Einwohner der Bundesrepublik – wurde den Wahlen im Vorfeld enorm große Bedeutung beigemessen.
Bauer Bence, Direktor des Deutsch-Ungarischen Instituts für Europäische Zusammenarbeit, diskutierte und analysierte zusammen mit Zoltán Kiszelly, dem Direktor des Zentrums für politische Analysen der Századvég-Stiftung sowie dem Direktor des Nézőpont-Meinungsforschungsinstituts Dr. Ágoston Sámuel Mráz. Die Moderation übernahm Levente Szikra, seinerseits Leitender Analyst des Zentrums für Grundrechte. Die große Zahl der Zuhörer zeigt das ungebrochen hohe Interesse der ungarischen Öffentlichkeit für die politischen Entwicklungen in der Bundesrepublik.
Bauer schilderte in seiner Begrüßung die besondere Situation, die sich durch das zu erwartende starke Abschneiden der Alternative für Deutschland (AfD) und des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ergibt sowie das voraussichtlich schlechte Ergebnis der Parteien der Bundesregierung. Er rekapitulierte die vorherigen Wahlen, als in Thüringen der Kandidat der FDP überraschenderweise mit Stimmen der CDU und AfD gewählt wurde, bevor er kurz darauf unter anderem auf Druck von Bundeskanzlerin Merkel das Amt niederlegte.
In der Diskussion vor der Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen war zunächst die allgemeine Stimmung vor der Wahl Gegenstand der Diskussion, dabei wies der Moderator Levente Szikra insbesondere auf die Nachfolgen des Messer-Attentats von Solingen hin sowie auf weitere Gewaltverbrechen, die in Zusammenhang mit Migranten stehen. Ágoston Mráz ging auf den Paria-Status der AfD ein und die Aufrufe von Wirtschaftsverbänden und Kirchen vor der Wahl, die sich gegen die rechtspopulistische Partei richteten. Er erwähnte zudem den historischen Umstand, dass es in Thüringen 1932 in der Weimarer Republik zum ersten Mal eine Regierungsbeteiligung einer Rechtsaußenpartei gab, was nach Mráz dazu beitrage, dass dieser Wahl in einem relativ kleinen Bundesland bundesweit große Bedeutung zugemessen werde.
Wahlkampfthemen Migration und Ukraine-Krieg
Bence Bauer wies in seinen Ausführungen auf den bemerkenswerten Umstand hin, dass Abschiebungen nach Afghanistan jahrelang als nicht durchführbar galten und auch ein Spiegel-Interview mit Bundeskanzler Scholz, in dem dieser im vergangenen Jahr Abschiebungen „im großen Stil“ forderte, wenig Konsequenzen nach sich zog, doch es plötzlich, drei Tage vor wichtigen Wahlen, möglich gewesen sei Straftäter nach Afghanistan auszufliegen. Zudem bemerkte er, dass es sich nicht um eine Korrektur handele, wenn 250.000 ins Land kommen würden und 28 es verließen und erläuterte dem ungarischen Publikum einige der bürokratischen Fallstricke, die umfangreichere Abschiebungen gegenwärtig behindern.
Zoltán Kiszelly zufolge hätten in Sachsen und Thüringen Themen der Bundespolitik den Wahlkampf dominiert und der Wunsch, Protest gegen die Berliner Politik auszudrücken, habe für viele eine große Rolle gespielt. Kiszelly ging außerdem auf die Maßnahmen des deutschen Inlandsgeheimdienstes gegen die AfD ein und darauf, dass AfD und BSW nicht nur für eine „180-Grad-Wende“ in der Migrationspolitik, sondern auch in der Ukraine- bzw. Russlandpolitik stünden.
Diese Unterschiede in den politischen Positionen zu anderen Bundesländern erstreckten sich – ergänzte Bauer – nicht nur auf die AfD und das BSW, sondern auch beispielsweise auf die sächsische CDU. Mráz erklärte die Russland-Freundlichkeit in den beiden Bundesländern mit kulturellen Spezifika in den südlichen Gebieten der einstmaligen sogenannten DDR: Die anerzogene Freundschaft mit der Sowjetunion spiele dabei eine Rolle, aber auch das Ressentiment gegen die empfundene „Annexion“ durch die Bundesrepublik.
„Der Gewinner ist die Demokratie“
Ein Resultat der beiden Wahlen, das von allen Panelisten begrüßt wurde, war die enorm gestiegene Wahlbeteiligung, die in beiden Ländern auf einen Rekordwert von fast 75 Prozent gestiegen ist – „Der Gewinner ist die Demokratie“, kommentierte Moderator Levente Szikra.
Die vorläufigen Ergebnisse in den beiden Bundesländern:
Sachsen: CDU 31,9 Prozent (-0,2), AfD 30,6 Prozent (+3,1), BSW 11,8 Prozent (Neu), SPD 7,3 Prozent (-0,4), Grüne 5,1 Prozent (-3,5), Linke 4,5 Prozent (-5,9).
Thüringen: AfD 32,8 Prozent (+9,4), CDU 23,6 Prozent (+1,9), BSW 15,8 Prozent (Neu), Linke 13,1 Prozent (-17,9), SPD 6,1 Prozent (-2,1), Grüne 3,2 Prozent (-2,0).
„Aus dem Osten kommt die erste Brise“, resümierte Direktor Bauer den möglichen Effekt auf Trends der Bundespolitik, der von den Wahlen ausgehen könnte. Besonders hob er das katastrophale Ergebnis der Kanzlerpartei SPD von 6 Prozent hervor sowie das Verschwinden der FDP als relevante politische Kraft und die wachsende Unbeliebtheit der Grünen in großen Teilen des Landes. Die Panelisten wiesen einhellig auf die Bedeutung der Tatsache hin, dass in einer ersten Nachwahlbefragung zur Wähler-Wanderung nur 3 Prozent der BSW-Wähler von der AfD kamen; die weitaus größten Gruppen der neuen Partei hingegen waren vormalige Nichtwähler und Wähler der Partei Die Linke.
Letztere war die große Verliererin der Wahlen und verlor ihre Position als dominante Kraft. Die politische Isolation der AfD werde am ehesten in Zukunft von der BSW durchbrochen werden. Kiszelly zufolge werde die Brandmauer gegen die äußere Rechte vorerst bleiben, gegenüber der extremen Linken jedoch nicht. Mráz stimmte damit überein, dass sich die CDU gegenüber einer potenziellen Zusammenarbeit mit dem BSW öffnen könnte: Die Landtagswahlen haben „ein Fenster der politischen Möglichkeiten“ geöffnet.