Die großen Probleme unserer Zeit, wie nachteilige Folgen der Globalisierung, Massenmigration und Umweltkatastrophen, lassen sich kaum mehr auf der Ebene des Nationalstaats lösen. Selbst auf der Ebene der Europäischen Union scheinen manche Instrumente in ihren Grenznutzenbereich zu kommen. Insofern stellt sich die Frage, wie sich Europa in der Welt zu positionieren hat, um erfolgreich zu bleiben. Mit Prof. Dr. Rolf Steltemeier, Direktor und Büroleiter der United Nations Industrial Development Organisation (UNIDO) und des Investment and Technology Promotion Office (ITPO) in Deutschland, war ein hochkarätiger Diplomat des UN-Systems am 28. März am Mathias Corvinus Collegium zu Gast.

 

Sein Vortrag mit anschließender Diskussion lockte gut 50 Studenten, Professoren und Gäste in das MCC. Herr Bauer stellte das Institut in seiner Begrüßungsrede vor, und hob hervor, welche Rolle das Institut als einziger Single-Issue Think Tank Ungarns im europäischen Dialog spielen wolle und wie es zum wissenschaftlichen, akademischen, publizistischen, politischen und kulturellen Austausch Ungarns und Deutschlands beitrage. Im Weiteren betonte Bauer die Bedeutung der internationalen Entwicklungszusammenarbeit und rekurrierte auf mögliche Felder einer weiteren Kooperation zwischen Deutschland und Ungarn.

Prof. Dr. Heinz Theisen, Professor für Politikwissenschaft an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Köln und Visiting Fellow des Deutsch-Ungarischen Instituts für Europäische Zusammenarbeit, der Moderator des Abends, begrüßte Prof. Steltemeier als einen der wenigen Intellektuellen in Deutschland, der die Verbindung von Praxis und Theorie lebe.

Als Mann der Wissenschaft und der Politik, legte Steltemeier, ehemaliger Regierungssprecher in der Regierung Merkel/Westerwelle, in seinem Referat den Fokus vor allem auf die zwei wohl größten Herausforderungen internationaler Entwicklungspolitik: Die Migrations- und Klimathematik.

Prof. Steltemeier hob hervor, dass es wichtig sei, Europas Rolle in der Welt neu zu definieren, um die Hauptprobleme Europas, wie die Rolle Chinas, den Krisenkontinent Afrika, das leider so unstete Verhältnis zu den USA, den gefährlichen Islamismus und die kritische Rolle Russlands bewältigen zu können. Er betonte, dass eine bessere gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik notwendig sei. Es bräuchte Selbstbegrenzung in Form sicherer Grenzen, kombiniert mit einem Einwanderungssystem nach kanadischem Vorbild. „Wir müssen aufpassen, dass wir die Pull-Faktoren nicht überreizen“, konstatierte Steltemeier. Er warnte jedoch vor einer Überreaktion: „Die Begrenzung von Migration darf auf keinen Fall in Intoleranz umschlagen“, so Steltemeier weiter.

Zwar habe die Entwicklungspolitik mit einem Budget von 12 Milliarden Euro im Bundeshaushalt – also immerhin dem zweitgrößten Investivhaushalt der Bundesrepublik – eine gute Grundlage, dennoch scheitere vieles auf europäischer Ebene. Denn dort bedürfe es, so Steltemeier, dringend einer Überprüfung der Beschlussfassungs- und Abstimmungsregeln in EU-Organen, einer Stärkung von FRONTEX – dort bräuchte es fest 10.000 statt nur 1500 Mitarbeiter – und des Abbaus „neo-feudaler Strukturen“ im EU-System.

Eine stärkere Entwicklungszusammenarbeit, die auch die Privatwirtschaft stärker miteinbeziehen müsse, dürfe jedoch nicht in alte Muster des „Nation Buildings“ verfallen. Die Beispiele von Irak, Ägypten und Afghanistan hätten gezeigt, dass dieses Konzept nicht funktionieren könne. „Wenn man nicht erst die nötigen Grundlagen für Demokratie schafft, lässt sich keine Demokratie aufbauen“, so Steltemeier.

Internationale Politik und Hilfsbereitschaft hat ihre natürlichen Grenzen. „Wenn man den Starken zu sehr schwächt, dann ist er irgendwann zu schwach, um den Schwachen zu helfen“, hob Steltemeier hervor. Es dürfe keine „fehlgeleitete Interpretation der Globalisierung“ mit einer fehlgeleiteten Politik offener Grenzen geben. Die Kombination aus Selbstbegrenzung und Hilfe vor Ort sei gleichsam das Erfolgsrezept für gelingende Entwicklungspolitik.

Gerade vor dem Hintergrund der Klimakrise – bis 2050 wird es schätzungsweise circa 150 Millionen Klimaflüchtlinge geben (so die Weltbank) – sei gelingende Entwicklungspolitik wichtiger denn je. In der anschließenden Diskussion wurde vor allem die Frage erörtert, was in einer Gesellschaft passieren müsse, um diese Herausforderung doch noch halbwegs zu meistern.