Mit organisierter Kriminalität verbinden nicht wenige Menschen, zumindest seit Marlon Brando und Al Pacino, den Mafiapaten im Zitronenhain - den Enkel an der einen, ein Glas Rotwein in der anderen Hand. Von diesem Bild müsse man sich verabschieden, denn diesen Paten gibt es nicht, so Prof. Dr. Prof. h. c. Arndt Sinn, Professor für Deutsches und Europäisches Straf- und Strafprozessrecht, internationales Strafrecht und Strafrechtsvergleichung an der Universität Osnabrück. Sein Vortrag zu organisierter Kriminalität in Deutschland und Europa füllte das MCC Szeged am 22. März 2023 mit circa 80 Gästen.

 

Nach der Begrüßung durch die Leiterin des MCC Szeged Dr. Kata Asztalos gab Prof. Sinn mit dem Untertitel „Fakten, Trends und Strategien“ direkt einen Fahrplan für den Abend: Einer Einführung in die statistischen Erkenntnisse über die organisierte Kriminalität (zumindest derer, die außerhalb des Dunkelfelds erfassbar ist) folgte eine rechtliche Betrachtung der organisierten Kriminalität. Doch schon eine präzise Phänomenanalyse gestalte sich schwierig, so Prof. Sinn.

Schließlich gibt es im Deutschen Strafgesetzbuch keine Definition zum Begriff der organisierten Kriminalität; die durch internationales Beschlüsse aufgetragene Reform des Deutsches Strafgesetzbuches wurde erst 2017 umgesetzt, viele rechtliche Fragen sind weiterhin ungeklärt - und das, obschon weltweit schätzungsweise nicht weniger als zwischen 800 Milliarden und 1,2 Billionen US-Dollar mit organisierter Kriminalität erwirtschaftet werden. All dies sei kein Ruhmesblatt für die deutsche Politik, so Prof. Sinn.

Denn organisierte Kriminalität sei nicht „einfach nur“ ein rechtliches bzw. kriminalpolitisches Problem: Allein durch das größte Betätigungsfeld der organisierten Kriminalität - der, für sicher nicht Wenige im Saal überraschend, Produktpiraterie - gingen in der Europäischen Union schätzungsweise 468.000 Arbeitsplätze verloren.

Doch wie arbeitet eigentlich die organisierte Kriminalität? 80% der organisiert kriminellen Vereinigungen nutzen legale Geschäftsstrukturen, wie die GmbH oder die Kft. Das sollte uns sorgen bereiten. Für viele sicherlich darüber hinaus überraschend: „Wer heute noch mit Drogen dealt, ist irre! Viagra ist das neue Kokain“, so Prof. Sinn weiter. Mit selbst angefertigten Screenshots aus dem, in der bloßen Benutzung nicht illegalem, Darknet zeigte Prof. Sinn, wie einfach sich mit organisierter Kriminalität Millionen von Euros verdienen ließen - durch den Verkauf selbst gefälschter Potenzmittel zu Lifestyle-Medikamenten. Gefasste Täter erbeuteten damit in über zwei Jahren circa 21 Millionen Euro.

Umso wichtiger sei es deshalb, ein Bewusstsein für diese Dimensionen zu schaffen. Prof. Sinn zeigte, worauf man bei Online-Apotheken achten müsse, um beim Medikamentenkauf nicht Opfer von Produktpiraterie zu werden. Nichtsdestoweniger: „Bei der gefälschten Gucci-Sonnenbrille am Strand in der Türkei fängt es an“, mahnt Prof. Sinn. Man müsse der organisierten Kriminalität das Handwerk legen. Dies ginge nur durch Zerschlagung ihrer Strukturen, und indem man ihnen das Geld wegnähme - oder ihnen zumindest keines mehr durch Privatkonsum verschaffe. Damit könne jeder am südeuropäischen Urlaubsstrand einen Beitrag zur Bekämpfung leisten.

Einem spannenden Vortrag folgte eine angeregte Diskussion, die in ihren Facetten so bunt war, wie die organisierte Kriminalität selbst: Wirecard, Schlepperbanden und Kinderpornographie. Organisierte Kriminalität ist überall. Für sie Bewusstsein zu schaffen, gelang Prof. Sinn auf das Beste - der Saal war bis zum Anschlag gefüllt. 

Im Rahmen des Besuchsprogramms, traf sich in Budapest Prof. Sinn mit den Kollegen des MCC, Dr. Ákos Mernyei Forscher und mit Prof. Dr. István Varga, Leiter des Zentrums für Zivilrecht und mit Dr. András Csúri, Leiter des Zentrums für Strafrecht.

Im weiteren Verlauf des Programms besuchte Prof. Sinn die Nationale Universität für Öffentlichen Dienst, wo er sich mit Prof. Dr. Tünde Barabás, Leiterin des Lehrstuhls für Justizvollzug, mit Dr. Zoltán Hautzinger, Leiter des Lehrstuhls für Einwanderungsforschung und mit Dr. Bence Mészáros, Leiter des Lehrstuhls für Polizeiwissenschaften. Als Abschluss der Budapester Besuchsprogramms traf sich Prof. Sinn mit Dr. Ágnes Czine, Richterin am Verfassungsgericht von Ungarn.