Das Deutsch-Ungarische Institut für Europäische Zusammenarbeit veranstaltete am 1. Dezember 2022, am zweiten Jahrestag der Gründung des Instituts, eine Podiumsdiskussion zum Thema „Das deutsche Wahlrecht in Theorie und Praxis“. Die Veranstaltung mit etwa 50 Zuschauern wurde vom Direktor des Instituts, Dr. Bence Bauer, eröffnet, der in seiner Rede die Errungenschaften des Instituts in den letzten zwei Jahren hervorhob. Außerdem betonte er die Aktualität des Veranstaltungsthemas angesichts der jüngsten Entwicklungen um die Pannen der Wahlen zum 19. Abgeordnetenhaus von Berlin im September 2021. Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin hatte am 16. November 2022 die Wahl für ungültig erklärt, womit eine Wiederholung der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus notwendig ist. Anschließend stellte Dr. Kálmán Pócza, der die Veranstaltung moderierte, die eingeladenen Gäste vor.
Dr. Lembcke, Professor für Politikwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum, sprach über das überaus komplexe deutsche Wahlrecht, welches aufgrund seiner speziellen komplizierten Eigenheiten nur von Wenigen verstanden würde. In seinem Vortrag ging er auf die Geschichte, den Aufbau sowie die Funktionsweisen des deutschen Wahlsystems ein. Dabei veranschaulichte Lembcke die Problematik der Überhang- und Ausgleichsmandate, die dazu führen, dass das deutsche Parlament nach dem chinesischen und dem nordkoreanischen das drittgrößte der Welt ist. Daneben wies er auf die durch den stets größer werdenden Bundestag beeinträchtigte Arbeitsfähigkeit und verursachte Mehrkosten hin. Prof. Dr. Lembcke behandelte aber nicht nur die Probleme des deutschen Wahlsystems, sondern stellte dem Publikum auch verschiedene Reformvorschläge vor. Dabei betonte er jedoch, dass die Politik „unter Reformunfähigkeit, unter Reformstauung“ leide. Mittlerweile handele es sich darum, ob die Politik in der Lage sei, die „rules of the game“, also die eigenen Entscheidungsregeln zu reformieren.
Anschließend folgte der Vortrag von Marcel Luthe, dem Bundesvorsitzenden der Good Governance Gewerkschaft, der von 2016 bis 2021 eines der bekanntesten Mitglieder des 18. Abgeordnetenhauses von Berlin war. Nach den Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen in der deutschen Hauptstadt am 26. September 2021 reichte er als Beschwerdeführer Klage beim Berliner Landesverfassungsgericht ein und zeigte die Fehler der Wahlbehörden öffentlich auf. Im Zuge der Gerichtsentscheidung vom 16. November 2022 über die Ungültigkeit der Wahlen forderte er die sofortige Auflösung des Berliner Abgeordnetenhauses.
In seinem Vortrag berichtete Luthe aus erster Hand über die Geschehnisse am Wahltag im September letzten Jahres und analysierte punktgenau die Fehler und das Missmanagement der Vor- und Nachbereitung der Berliner Wahlen. Er betonte, dass eines der wichtigsten Fundamente der Europäischen Union, das Demokratieprinzip, an jenem Tag schwer verletzt worden wäre und dass die Macht der derzeitigen Berliner Regierung und des 19. Abgeordnetenhauses nicht vom eigentlichen Souverän, also nicht vom Volk ausginge. Er unterstrich dabei, dass „jedes Wahlrecht und jedes Gesetz nur so viel nutzt, wie es auch angewendet wird“. Aus diesem Grunde sei er der Meinung, dass das Berliner Wahlchaos zwar aufgrund des Missmanagements als ein Einzelfall erscheine, dahinter aber ein systematisches Problem stecke, das bei anderen Wahlen wegen der besseren Vorbereitung nicht ans Lichte komme.
Nach den beiden Vorträgen folgte eine Diskussionsrunde, die im Rahmen eines Empfanges weiter vertieft wurde.