Am 13. Dezember 2021 organisierte das Deutsch-Ungarische Institut für Europäische Zusammenarbeit eine Podiumsdiskussion mit Werner J. Patzelt, Prof. em. an der Technischen Universität Dresden und Visiting Fellow am MCC.

Thema der Veranstaltung, die auf Englisch abgehalten wurde, war „Die neue Bundesregierung und das Programm des Drei-Parteien-Bündnisses“. Neben den etwa 40 Gästen, die ins MCC-Hauptquartier in der Tas Vezér utca eintrafen, konnten knapp 20 Zuschauer die Diskussion über einen Live-Stream mitverfolgen. Die Veranstaltung wurde von Dr. Bence Bauer moderiert.

Patzelt stellte zu Beginn klar, dass die CDU in den vergangenen Jahren schwerwiegende Fehler in ihrer strategischen Ausrichtung gemacht habe. Der Kollaps der CDU bei den Wahlen sei daher keine Überraschung gewesen – in Folge übernimmt nun Olaf Scholz das Erbe von Angela Merkel. Auch war es keine Überraschung, dass die Koalitionsverhandlungen schneller als erwartet vonstattengingen: Zum einen stand die öffentliche Meinung klar auf Seite der Ampelkoalition. Zum anderen waren Grüne und FDP nach vielen Jahren in der Opposition besonders erpicht darauf, endlich mitregieren zu können.

Gefragt nach den wichtigsten Inhalten des Koalitionsvertrages sagte Patzelt, dass in erster Linie die Klima- und Energiepolitik das wichtigste Anliegen der neuen Regierung sei. Auch die Migrationspolitik, stellte Patzelt fest, ist einer der zentralen Punkte der Koalitionsvorhaben. Deutschland gedenke, seine Willkommenskultur fortzuführen, um weiterhin ein weltoffenes und multikulturelles Land zu sein. „Die Ära der Nationalstaaten ist vorbei“, denken viele in Deutschland, wo insbesondere in linksliberalen Kreisen die Vorstellung von den „Vereinigten Staaten von Europa“ Maßstäbe setzen soll. Die ungarischen Bedenken hinsichtlich der deutschen Migrations- und Europapolitik seien daher nicht unbegründet, führte Patzelt aus, doch auch in vielen anderen EU-Mitgliedstaaten findet die föderalistische Idee wenig Anklang. Deutschland drohe deshalb in Europa „alleine zu Haus“ zu werden.

Nicht weniger sind die Vorstellungen insbesondere der Grünen, was die Gender- und Familienpolitik angeht, in Ungarn kaum vorstellbar, wo man am Modell Mutter, Vater, Kind festhält. Dass die deutsche Genderpolitik vom Rest Europas angeeignet wird, hält Patzelt jedoch für unwahrscheinlich, da die Mehrheit diese selbst in Deutschland ablehne. Eine große Herausforderung für die Zukunft werde in Deutschland gewiss die Energiefrage sein. Der Ausstieg aus der Atomkraft hinterlasse ein riesiges Loch in der Energiesicherheit – kompensiert werde dies durch den Import russischen Gases, so Patzelt. Das steigere jedoch die Abhängigkeit von Russland. Die daraus resultierende Erpressbarkeit stehe, Patzelt zufolge, eigentlich im Widerspruch zu den außenpolitischen Leitlinien von Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen.

Wie wird sich nun das Handeln der neuen deutschen Regierung auf das bilaterale Verhältnis zwischen Deutschland und Ungarn auswirken? Angela Merkels Anspruch sei grundsätzlich gewesen, mit den kleinen ostmitteleuropäischen Ländern einen freundschaftlichen Umgang zu pflegen. Für die neue Regierung prognostiziert Patzelt, dass diese mit Annalena Baerbock als Außenministerin zunächst eine werte- statt interessenbasierte Außenpolitik verfolgen wird, was eine Abkühlung des Verhältnisses zur Folge haben könnte.

Die Podiumsdiskussion schloss mit der Thematisierung der Richtungssuche in der CDU. Patzelt diagnostizierte einen Mangel an „intellektueller Arbeit“ in der Union, dabei sei es längst überfällig, die Partei inhaltlich neu zu justieren. Der Politikprofessor fügte hinzu, dass er Friedrich Merz am ehesten zutraue, die CDU wieder zu alter Stärke zurückzuführen.

Im Anschluss bekam die Zuhörerschaft die Möglichkeit, Fragen zu stellen und im darauffolgenden Empfang den Dialog informell fortzusetzen.