Deutschland durchläuft bedeutende Veränderungen in seiner Gesellschaft und seinem politischen System, sagten die Experten auf der Podiumsdiskussion des Deutsch-Ungarischen Instituts für Europäische Zusammenarbeit am Freitag, den 26. Juli 2024, in Tusnádfürdő. Auf der Bühne des MCC wurden unter dem Titel „Deutschland - ein historisches und politisches Versuchsfeld?“ die Prozesse in der führenden Wirtschaftsnation Europas analysiert.

Es gebe eine Kluft zwischen der Politik der führenden und regierenden politischen Parteien und der öffentlichen Meinung in Deutschland, so der Professor für Politikwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum, Oliver W. Lembcke. Als Beispiel nannte Lembcke die Frage der Migration. Politiker pochten auf eine so genannte „Willkommenskultur“, während die Menschen die alltäglichen Probleme im Zusammenhang mit der oftmals schwierigen Integration der Einwanderer in die Gesellschaft spürten. Der Experte sah, dass seitens der entscheidungstragenden Parteien jedes kritische Gegenargument tendenziell abgelehnt würde.

Das Sicherheitsgefühl der Menschen in Deutschland sei in letzter Zeit beschädigt worden, betonte der ehemalige Budapester Leiter der Vertretung der Konrad-Adenauer-Stiftung, Frank Spengler. Dies zeige sich laut Spengler in der Einwanderungspolitik, in der Wahrnehmung des russisch-ukrainischen Krieges und es spiegele sich in der Einschränkung von Meinungen in traditionellen und sozialen Medien wider.

Die deutschen Mainstream-Medien seien in der Krise und so spiele kritischer alternativer Journalismus eine immer wichtigere Rolle, so der Leiter der MCC-Medienschule, Boris Kálnoky. Er betonte, im Gegensatz zur vielfach zu einseitigen Berichterstattung der deutschen Presse sei die Gesellschaft zunehmend offen für Medien, die Themen aus mehreren Perspektiven beleuchteten. Dies zeige sich an dem starken politischen und gesellschaftlichen Wandel in den Ländern des Westens.

Die Grüne Partei habe ihre beherrschende Stellung unter jungen Deutschen verloren, so Henning Saßenrath. Der Gastdozent am Deutsch-Ungarischen Institut analysierte die Daten der Wahlen zum Europäischen Parlament und stellte fest, dass es paradoxerweise die Grünen gewesen seien, die am stärksten auf eine Senkung des Wahlalters gedrängt hatten. Seiner Ansicht nach gebe es zwar Faktoren, die den Konservativen und Rechten Zugewinne unter den Jugendlichen gebracht haben, doch spiele auch die Enttäuschung durch grüne Regierungspolitik eine große Rolle – der relativ größte Stimmenanteil sei auf statistisch unbedeutende „andere Parteien“ entfallen, die in ihrer Mehrzahl politisch linksliberal seien.