Welche inneren und äußeren Bedrohungen gefährden die Stabilität westlicher Demokratien? Diese Frage stellte der renommierte Politik- und Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Rainer Lisowski in den Mittelpunkt seines Vortrags, der am 27. September 2024 vom Deutsch-Ungarischen Institut für Europäische Zusammenarbeit am Mathias Corvinus Collegium (MCC) in Szekszárd organisiert wurde. Unter dem Titel „Unter Druck – Westliche Demokratien zwischen innerer Überforderung und äußerer Herausforderung“ analysierte er die aktuellen Bedrohungen, mit denen sich Demokratien in Europa, Nordamerika und Ozeanien konfrontiert sehen. Rund 40 Teilnehmer besuchten den Vortrag, der von Alexander Rasthofer, Forschungskoordinator des Instituts, moderiert wurde.

Bereits zu Beginn des Vortrags betonte Lisowksi, dass die größte Bedrohung für westliche Demokratien nicht von außen, sondern von innen komme. Die innere Überforderung bestehe seiner Ansicht nach darin, dass demokratische Gesellschaften durch „übermäßige Moralisierung und Hyperdemokratisierung“ aus dem Gleichgewicht geräten. Während Demokratie, Moral und Technokratie grundsätzlich als positive Werte gelten, könnten sie in übersteigerter Form zu gesellschaftlichen Spannungen führen. Besonders das Phänomen der „Hypermoralisierung“ in politischen Debatten sei laut Lisowski besorgniserregend. „Wir neigen dazu, politische Themen moralisch zu überfrachten, was die Gesellschaft spaltet“, betonte er und verwies auf die Migrationsdebatte in Deutschland, die diese Tendenz besonders deutlich zeige.

Auch die wachsende Technokratie sei eine Gefahr, da die Bürger zunehmend das Gefühl hätten, durch staatliche Regelungen bevormundet zu werden. Die immer komplexeren Vorschriften und Regulierungen erschwerten das Vertrauen in staatliche Institutionen: „Wenn der Staat bis ins Kleinste reguliert, wie wir unser Leben führen sollen, verliert er das Vertrauen der Bürger“, warnte der Wirtschafts- und Politikwissenschaftler. Diese Technokratisierung könne die Handlungsfähigkeit der Demokratie schwächen und die Distanz zwischen Staat und Bevölkerung vergrößern.

Neben diesen internen Spannungen ging es im Vortrag auch um die zunehmende Konkurrenz durch autokratische Regime wie China und Russland. Während Russland aufgrund seiner wirtschaftlichen Schwäche als weniger gravierende Bedrohung angesehen wurde, stellte Lisowski Chinas wachsende geopolitische und wirtschaftliche Bedeutung als ernstzunehmende Herausforderung heraus. „China bietet vielen Entwicklungsländern ein attraktives Modell, das in einigen Regionen der Welt sogar als überlegen gegenüber dem westlichen Modell angesehen wird“, erläuterte er und verwies insbesondere auf Chinas wachsenden Einfluss in Afrika. Mit Investitionen und Infrastrukturprojekten baue China seinen Einfluss aus und biete gleichzeitig eine politisch-autoritäre Alternative zum westlichen Demokratiemodell. Diese Entwicklung stelle eine ernsthafte Herausforderung für die globale Vorherrschaft der Demokratie dar.

Im Anschluss an den Vortrag wurde eine lebhafte Podiumsdiskussion eröffnet, in der sich die Teilnehmer mit der Frage auseinandersetzten, wie westliche Demokratien sowohl den inneren als auch den äußeren Herausforderungen begegnen könnten. Es wurde betont, dass eine Rückbesinnung auf die Kernprinzipien der Demokratie notwendig sei. Eine pragmatische Politik, die den Bürgern zuhöre und auf ihre Bedürfnisse eingehe, sei unerlässlich, um die bestehenden Spannungen zu überwinden.

Besonders die Rolle Europas in einer zunehmend globalisierten und von autokratischen Regimen geprägten Weltordnung wurde intensiv diskutiert. Die Teilnehmer waren sich einig, dass Europa seine Position klarer definieren und seine Werte mit größerem Selbstbewusstsein vertreten müsse. Es dürfe nicht länger nur Zuschauer in geopolitischen Auseinandersetzungen sein, sondern müsse eine aktive Rolle einnehmen.