Anlässlich der Nationalratswahlen in Österreich am Sonntag, dem 29. September 2024, veranstaltete das Deutsch-Ungarische Institut für Europäische Zusammenarbeit einen Wahlabend im Mathias Corvinus Collegium. Moderiert wurde die Veranstaltung von Dorina Bosits, MCC-Stipendiatin und Jura-Studentin an der Universität Győr. Als Redner nahmen Andor Nagy, der ehemalige ungarische Botschafter in Wien, András Hajdú, stellvertretender Staatssekretär für Politikanalyse im Büro des Politischen Direktors des Ministerpräsidenten, sowie Bence Bauer, Direktor des Deutsch-Ungarischen Instituts für Europäische Zusammenarbeit, teil. Die Veranstaltung wurde von knapp 100 Personen besucht.

In seiner Eröffnungsansprache gab Bence Bauer einen knappen Rückblick auf die letzte Wahlperiode, in der Sebastian Kurz (ÖVP) Kanzler war. Ab 2017 bildeten die konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) und die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) eine Regierungskoalition unter ÖVP-Chef und Kanzler Sebastian Kurz. Andor Nagy erläuterte anschließend die Besonderheiten des österreichischen Wahlsystems. Gewählt werden kann dort ab 16 Jahren und es gibt keine Stimmbezirke. Die Wahl findet alle 5 Jahre statt, wobei es sich um eine Listenwahl handelt.  Österreich ist außerdem föderal organisiert und nicht zentralistisch wie Ungarn. András Hajdú stellte daraufhin die Inhalte der Wahl und die Parteiengeschichte des Landes vor. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten zunächst die beiden großen Volksparteien ÖVP und SPÖ die politische Parteienlandschaft und das Leben der Menschen geprägt. Ab den 1980-ern schwand die Unterstützung für die beiden Volksparteien und die Grünen betraten die politische Landschaft. Die FPÖ konnte ebenfalls zulegen und kam in den 1980-er Jahren erstmals in Regierungsbeteiligung. In den 1970-er Jahren konnten die beiden großen Parteien noch allein regieren, aber Koalitionen werden immer wichtiger und diverser. Spannend bei dieser Wahl wird laut Hajdú sein, wie viele Stimmen die regierenden Parteien verlieren werden. Die FPÖ kämpfe bei diesen Wahlen erneut um den ersten Platz, denn bei der EU-Wahl wurde sie bereits zur stärksten Kraft.

Auf die Frage von Moderatorin Bosits, wie sich die FPÖ nach der Ibiza-Affäre wieder erholen konnte, antwortete Bence Bauer mit einer kurzen Zusammenfassung der Parteigeschichte und den Krisen und Umwälzungen, welche die Partei in der Vergangenheit erfahren und überstanden habe. In Folge der Ibiza-Affäre verlor die Partei deutlich und fiel auf 16% zurück. Dieses Jahr werde aber mit einem ganz anderen Ergebnis zu rechnen sein, so Bauer. Die Hegemonie der Grünen sowohl in Deutschland wie auch Österreich sei vorbei und es würde spannend bleiben, wer regieren wird. Die FPÖ hat die besten Chancen auf einen Wahlsieg und würde in diesem Fall eigentlich den Kanzler stellen, wird aber voraussichtlich nicht beteiligt werden und zur FPÖ unter Herbert Kickl dürfte eine Brandmauer, ähnlich wie in Deutschland zur AfD, errichtet werden. Andor Nagy stimmte dieser Betrachtung zu und ergänzte, dass Karl Nehammer, trotz eines Wahlsiegs der FPÖ, gute Chancen habe Kanzler zu bleiben.

In der folgenden Gesprächsrunde stellte Bosits die These auf, dass die aktuelle Regierung Schwarz-Grün nicht funktioniere und es deshalb ein schlechtes Verhältnis zwischen ÖVP und Grünen gebe. An ihre Gäste gab sie die Frage weiter, zu welcher neuen Koalition es deswegen kommen könnte. Andor Nagy betonte, dass Dreiparteienkoalitionen extrem ungewöhnlich seien und in Österreich meist als Notlösung angesehen werden. Bence Bauer schloss eine Große Koalition zwischen ÖVP und SPÖ nicht aus. Dafür müssen ÖVP und SPÖ jedoch über 50% kommen, was unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen sei. Es wäre das beste Szenario für die ÖVP und die „GroKo“ hat in Österreich ebenfalls Tradition. Eine weitere Regierungsbeteiligung der Grünen wurde von allen Panelisten als unwahrscheinlich angesehen. Wahrscheinlicher sei eine Hinzunahme der NEOS im Falle einer Dreierkoalition. Laut österreichischer Gesetzgebung ist der österreichische Präsident Alexander Van der Bellen nicht verpflichtet, dem Wahlsieger den Auftrag zur Regierungsbildung zu erteilen. Nagy bezeichnete es jedoch als unwahrscheinlich, dass Alexander Van der Bellen bei einem haushohen Wahlsieg der FPÖ den Regierungsauftrag zurückhalten wird.

Erste Hochrechnungen und Ergebnisse

Um 17:00 Uhr wurden die ersten Ergebnisse der bereits ausgezählten Wahlkreise sowie die daraus resultierenden Hochrechnungen veröffentlich. Die ersten Zahlen bestätigten die Erwartungen der Diskutanten. Die FPÖ wurde stärkste Kraft, gefolgt von ÖVP, SPÖ, NEOS und den Grünen.

Das vorläufige Wahlergebnis:

FPÖ 29,2% (+13,0), ÖVP: 26,5% (-11,0), SPÖ 21,0% (-0,1), NEOS 9,0% (+0,9), Grüne 8,0% (-5,9).

Die FPÖ erreichte damit ihr bestes Wahlergebnis der Parteigeschichte und die SPÖ ein historisch schlechtes und fiel zum ersten Mal auf den dritten Platz zurück. Die ÖVP und die Grünen erlitten ebenfalls deutliche Verluste. Nach den Berechnungen aus der Liveschalte schafften SPÖ und ÖVP gerade noch die gemeinsame absolute Mehrheit. Die Grünen konnten entgegen den Erwartungen nicht vom Hochwasser in Österreich und der Verbindung zu Klimawandel profitieren und verloren deutlich an Stimmen.

In der Abschlussrunde gaben die Gäste noch kurz ein Fazit zum Besten. Andor Nagy fasste zusammen, dass die Volksparteien eingebüßt hätten. Dass es nur fünf Parteien im neuen Parlament gebe, sei gut und wahre den Überblick. Die Wahlbeteiligung war mit 77% Prozent sehr hoch, was von den anwesenden Diskutanten als positiv bewertet wurde. Bence Bauer machte bereits einen Blick in die Zukunft: Die FPÖ hat zwar einen Rekord eingefahren, aber „Rekorde lassen sich brechen“. Die aktuelle Regierung sei gescheitert und die Grünen wollten die Leute nicht mehr. Die Erfolge der FPÖ und des Rassemblement National in Frankreich seien eine gute Aussicht für die europäische Zukunft und Zusammenarbeit. Abschließend bedankte sich Bence Bauer bei seinen Redepartnern und dem Publikum. Nach dem offiziellen Ende der Veranstaltung folgte ein Stehempfang, der die Möglichkeit bot, sich weiter auszutauschen.