Folgender Beitrag stellt die zentralen Wahlversprechen und Programmpunkte der Regierungsparteien auf der einen und der vereinten Opposition auf der anderen vor. Die Vorhaben von Fidesz-KDNP ergeben sich vorrangig aus der Regierungspraxis, die Wahlversprechen der Opposition wurden in den vergangenen Monaten im Rahmen von Pressekonferenzen verkündet, am 9. März 2022 folgte die Vorstellung eines 72-seitigen Dokuments mit den zentralen Wahlprogrammpunkten.

Vereinte Opposition

Innenpolitik

Den Auftakt des Wahlprogramms der vereinten Opposition macht das Kapitel „Die Wiederherstellung des Rechtsstaates“. In Aussicht gesetzt worden ist die Ablösung des 2011 verabschiedeten Grundgesetzes und seine Ersetzung mit einer neuen, vom Volk mittels eines Referendums bestätigten Verfassung, die auf den Grundsätzen der Verfassung von 1989/1990 fußen soll. Dazu gehört die Verankerung in der euro-atlantischen Wertegesellschaft und die Wahrung einer pluralen, toleranten, vielseitigen und auf dem Gleichheitsprinzip beruhenden Gesellschaft. Oppositionspolitikern zufolge kann nur die westliche Kultur den westlichen Lebensstandard garantieren. Zur Stärkung des Rechtsstaates plant das Oppositionsbündnis den Beitritt zur Europäischen Staatsanwaltschaft und die Schaffung einer neuen Antikorruptionsbehörde. Zudem soll entschieden gegen die „Lügenpropaganda“ aufgetreten und der Aufbau neutraler öffentlicher Medien forciert werden. Als Ziel formuliert die Opposition des Weiteren eine Reform des gegenwärtigen als ungerecht empfundenen Wahlrechts.

Außenpolitik

Die vereinte Opposition trachtet nach einer „neuen, werteorientierten Außenpolitik“ im Sinne der Westorientierung, was eine Annäherung an Brüssel einerseits und eine tiefere Integration in das NATO-Militärbündnis bedeuten würde. Gegenwärtig stellt sich die Opposition aufseiten der Forderungen nach Waffenlieferungen in die Ukraine. Im Hinblick auf die Politik für Auslandsungarn betont die Opposition in ihrem Programm, die Auslandsungarn weiterhin zu unterstützen und hält auch an der doppelten Staatsbürgerschaft der jenseits der Grenzen lebenden Ungarn fest, was führende Vertreter der jeweiligen Parteien in Vergangenheit noch kritisierten.

Migrationspolitik

Das Oppositionsbündnis gab bekannt, den Grenzzaun aufrechterhalten zu wollen, jedoch müsse die ungarische Asylpolitik „sicher und human“ sein und in den europäischen Rahmen eingebettet werden. Das heißt, dass auch Frontex beim Schutz der Grenzen involviert werden soll.

Minderheitenpolitik

Unabhängig von Hautfarbe, Herkunft und sexueller Orientierung will man jedem Freiheit und Würde garantieren. „Wir wollen ein Ungarn, in dem sich auch Fidesz-Politiker offen zu ihrer Homosexualität bekennen können, denn das ist keine Schande.“ – hatte Márki-Zay noch im Dezember gesagt. Das Oppositionsbündnis lehnt das Kinderschutzgesetz der Fidesz-KDNP-Regierung ab, im Wahlprogramm finden sich aber diesbezüglich keine Konkreta.

Wirtschaftspolitik

Die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der vereinten Opposition enthalten zum Teil drastische Veränderungen im Vergleich zur ökonomischen Praxis der Regierungsparteien. Innerhalb von fünf Jahren soll der Euro eingeführt werden, doch vor allem die Energiepolitik würde sich von den gegenwärtigen Leitlinien der Fidesz-KDNP Listenverbindung absetzen. So soll nicht nur die Abhängigkeit von den russischen fossilen Energieträgern erheblich gemindert werden, auch würde die Opposition die Erweiterung des Atomkraftwerks in Paks vorerst aussetzen und neuverhandeln. Zugleich soll aber die von der Regierung erreichte Senkung der Energiekosten beibehalten werden unter dem Vorsatz, bis 2030 35 % des Energieverbrauchs aus erneuerbaren Energien zu decken, langfristig 100 %, und bis 2030 den CO2-Ausstoß um 60 % zu verringern. Auch wirtschaftlichen Großprojekten wie dem Ausbau der Bahnstrecke Budapest-Belgrad stehen die Oppositionsparteien kritisch gegenüber. Der Bau der „unprofitablen und ausländischen Interessen dienenden“ Strecke, die einen Teil des Seidenstraßenprojekts Chinas ausmacht, soll gestoppt werden.

Arbeitspolitik

Aus arbeitspolitischer Sicht verfolgt die vereinte Opposition einen sozialdemokratischen Ansatz, dem entsprechend die Gewerkschaften gestärkt und Niedriglohnverdiener unterstützt werden sollen. So will man die vollständige Rückerstattung der Einkommenssteuer für Mindestlohnempfänger erreichen und das von ihr so bezeichnete, 2018 verabschiedete „Sklavengesetz“ abschaffen, welches die Erhöhung der maximalen Überstundenzahl pro Jahr von 250 auf 400 Stunden bestimmte. Die Einkommenssteuer soll nicht erhöht werden. Außerdem beabsichtigt die Opposition, den Zeitraum, in dem Arbeitslosengeld gezahlt wird, von 3 auf 9 Monate anzuheben. Über die Finanzierung der Vorhaben sind keine Details vorhanden.

Sozialpolitik

Hinsichtlich der Sozialpolitik sollen wesentliche Prinzipien der Regierungen der letzten zwölf Jahre beibehalten werden, jedoch fordert man deren Ausweitung und gerechtere Verteilung. Die familienpolitischen Maßnahmen würde man fortführen, verschiedene Zuschüsse wie das Elterngeld aber deutlich erhöhen und jene Vorteile, die bisher für Familien mit mehr als zwei Kindern zugänglich waren, auch bei jenen mit einem Kind anwenden. Neben der Ausweitung des sozialen Wohnungsbaus – dem Recht auf Wohnen soll Verfassungsrang zukommen – nimmt sich die vereinte Opposition eine Reform des Rentensystems vor, die eine Erhöhung der Rentenzahlungen umfassen würde.

Gesundheitspolitik

Die vereinte Opposition hegt die Absicht, ein eigenes Gesundheitsministerium zu schaffen und weitere 1200 Milliarden Forint (mehr als 3 Milliarden Euro) in das Gesundheitswesen zu stecken, um die Gehälter um 50 % zu erhöhen und das System zu modernisieren und zu „entpolitisieren“. Eine Impfflicht gegen das Coronavirus wird abgelehnt.

Bildungspolitik

Auch die Bildung soll wieder über ein eigenes Ministerium verfügen und die in Stiftungen überführten Modelluniversitäten sollen an den Staat zurückgegeben werden. Diesbezüglich plant die Opposition die Stärkung der Autonomie der Schulen und ihrer Lehrkräfte, die mit einer deutlichen Gehaltserhöhung rechnen könnten. Darüber hinaus verspricht man mehr Investitionen in Digitalisierung und Fremdsprachenerwerb und die Wiederanhebung des Schulpflichtalters auf 18 Jahre (derzeit bei 16 Jahren).

Fidesz-KDNP

Während der Wahlkampf anlässlich der Parlamentswahlen 2018 vom Thema Migration beherrscht wurde, rückte vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine die Außenpolitik und die Erhaltung des Wohlstandes in den Vordergrund und somit der soziale Frieden. Fidesz-KDNP baut seinen Wahlkampf in nicht unerheblichem Umfang auf die Errungenschaften der vergangenen 12 Jahre auf –Wahlversprechen sind daher in erster Linie die Fortsetzung der bisherigen Politik.

Friedenspolitik

Die Regierungsparteien verurteilten die russische Invasion in der Ukraine und beteiligten sich an den EU-Sanktionen mit. Im Zeichen der „strategischen Ruhe“ werden jedoch Lieferungen von Waffen über und von Ungarn an die Ukraine abgelehnt, einerseits, um nicht in den Krieg hineingezogen zu werden, andererseits, um die ungarische Minderheit in der Karpatenukraine nicht zum militärischen Ziel zu machen. Währenddessen leistet man humanitäre Hilfe für die Hunderttausenden ukrainischen Flüchtlinge im Land. Unternehmen erhalten Zuschüsse, wenn sie Flüchtlinge aus der Ukraine anstellen.

Parallel zur Friedenspolitik zielt die ungarische Regierung auf die Steigerung der Verteidigungsfähigkeit der NATO und befürwortete mehrfach den Aufbau europäischer Streitkräfte. Im Rahmen des Zrínyi-Programms 2026 soll die Armee erneuert und aufgerüstet werden und die Verteidigungsausgaben dem 2%-Ziel nachkommen. 2010 betrug das Verteidigungsetat etwa 1 % des BIP, 2020 bereits mehr als 1,6 %. Fidesz-KDNP forcieren des Weiteren den Ausbau der Rüstungsindustrie in Ungarn.

Energiepolitik

Man tue alles, damit „nicht die Ungarn den Preis für den Krieg zahlen müssen“. Hierzu gehört die Sicherung der ungarischen Energieversorgung und somit die Ablehnung gegenüber Beschränkungen hinsichtlich des Importes von russischem Gas, die für die seit Jahren forcierte Senkung der Nebenkosten unerlässlich ist. Mit der Deckelung des Spritpreises sollten die Auswirkungen der Inflation ebenso abgemildert werden.

Um zukünftig die niedrigen Energiekosten aufrechterhalten zu können, hält Fidesz-KDNP am Ausbau des Atomkraftwerks (Paks II) fest, welches überdies den Zweck der Klimaneutralität vorantreibt. Paks II sollte den ursprünglichen Plänen nach vom russischen Staatskonzern Rosatom verwirklicht werden, was jedoch von den jüngsten Entwicklungen in der Ukraine tangiert werden könnte.

Außenpolitik

Charakteristisch für die vergangenen Legislaturperioden war eine außenpolitische und wirtschaftliche „Öffnung nach Osten“, was eine Intensivierung der Beziehungen unter anderem mit China, Russland und der Türkei voranbrachte. Indes unterstützt Ungarn die EU-Integration der Westbalkanstaaten. Eine herausragende Rolle spielt weiterhin die Kooperation mit den anderen mitteleuropäischen Staaten im Rahmen der Visegrád-Aufstellung. Im Verhältnis mit der Europäischen Union treibt Ungarn die Vorstellung eines „Europa der Vaterländer“ voran, womit es eine Kompetenzüberschreitung europäischer Organe ablehnt und der Vision eines föderalen Europas kritisch gegenübersteht.

Migrationspolitik

In Hinblick auf die Migrationspolitik opponierte Fidesz-KDNP die Akzeptanz illegaler Migration und lehnt daher jegliche europäische Umverteilung von Migranten strikt ab. Stattdessen sollen Fluchtursachen in den Herkunftsländern bekämpft werden (Hungary Helps). Der in Westeuropa gelebte Multikulturalismus ist der ungarischen Regierung zufolge kein erstrebenswertes Modell, vielmehr müsse sich Europa seines jüdisch-christlichen Erbes vergewissern.

Familie

Während andere Staaten den demographischen Wandel mit der Förderung von Immigration mildern wollen, setzt Ungarn auf die Schaffung eines familien- und kinderfreundlichen Umfelds, der Vereinbarkeit von Arbeit und Erziehung sowie der großzügigen finanziellen Unterstützung von Familien, womit der Anstieg der Geburtenrate begünstigt werden soll. Fidesz-KDNP führte eine skalierende Familienförderung nach Anzahl der Kinder ein, zum Beispiel sind Frauen ab dem vierten Kind lebenslang von der Einkommenssteuer befreit. Ebenso profitieren junge Erwachsene, die bis zum 25. Lebensjahr keine Einkommenssteuer entrichten müssen. Die Ausgaben für die Familienpolitik haben sich seit 2010 stetig erhöht. Des Weiteren fördert die ungarische Regierung die Ehe als Bund zwischen Mann und Frau und lehnt die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe wie auch die Gender-Ideologie vehement ab.

Wirtschaftspolitik

Ungarns Wirtschaft verzeichnete in den vergangenen Jahren einen der höchsten Wachstumswerte in der EU. Bestimmend für die Wirtschaftspolitik des Landes sind die geringen Einkommens- und Unternehmenssteuern, eine exportorientierte Handelspolitik sowie die Fokussierung auf große ausländische Investitionen (FDI). Weiterhin prioritär ist die Schaffung von Arbeitsplätzen (seit 2010 mehr als 1 Million neuer Arbeitsplätze), die auch dank des staatlichen Beschäftigungsprogramms (Közmunka) erreicht wurde und mit dem der Langzeitarbeitslosigkeit entschieden entgegengetreten wurde.

Auslandsungarn

„Nur der Staat hat Grenzen, die Nation nicht“. Die ungarische Regierung führte nicht nur die Möglichkeit für die im Ausland lebenden Ungarn ein, die ungarische Staatsbürgerschaft zu erhalten, sondern unterstützt mit einem beachtlichen finanziellen und ideellen Aufgebot die ungarischen Minderheiten in den Nachbarländern. Die Bande zwischen den Gemeinschaften jenseits der Grenze und dem Mutterland wurden in den vergangenen Jahren signifikant gestärkt.

Bildungspolitik

Ungarns Universitäten schnitten bisher im europäischen Vergleich nicht besonders gut ab. Damit diese wettbewerbsfähiger und moderner gemacht werden, lancierte die Regierung die Überführung mehrerer Universitäten in Stiftungen, womit deren wirtschaftliche Autonomie ausgebaut und deren innovative Forschungsaktivitäten erhöht werden sollen.