Genau 106 Jahre und ein Tag nach dem Ende der Februarrevolution in Petrograd (heute Sankt Petersburg), kamen am 20. März 2023 im Mathias Corvinus Collegium in Debrecen ca. 50 Teilnehmer zusammen, um sich dem Thema von Russischem Staat und Revolution zu widmen.

Prof. Dr. Kroll, Professor für Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts an der Technischen Universität Chemnitz und derzeit Visiting Fellow am MCC, führte zunächst in den Verlauf des Jahres 1917 ein und ging vor allem auch auf das Schicksal der Bauern ein. „Durch Wiederherstellung eines marktwirtschaftlichen Systems hätten die Bolschewisten die Probleme rasch lösen können. Stattdessen jedoch setzten sie auf Zwang und Terror um jene Probleme zu lösen, die sie selbst verursacht hatten“ resümierte Kroll.

Jedoch sei diese Revolution keinesfalls ein zwangsläufiges Resultat ihrer Vorgeschichte gewesen, so Professor Kroll weiter. „Allzu lang habe sich die Meinung gehalten, das Reich der Zaren sei prinzipiell so reformunfähig und reformunwillig gewesen, sodass diese Lebensordnung unweigerlich zum Untergang geweiht gewesen wäre“, so Kroll ablehnend. Schließlich wisse der Historiker, dass immer Alternativen gäbe.

In einem Durchgang durch die letzten sechs Jahrzehnte des alten Russlands, führte Kroll lebhaft und bildlich erzählend über die wichtigsten Meilensteine hin zur „großen Katastrophe“:  Seit 1861, angefangen mit dem Manifest über die Bauernbefreiung unter Zar Alexander II., dem „wohl größten Herrscher Russlands aller Zeiten“ der Weg hin zu einer Annäherung an demokratische Werte geführt. Mit der Russischen Verfassung von 1906 sei Russland verfassungsgeschichtlich in der „oberen Liga“ angekommen. So haben statt einer zaristisch geprägten reformunfähigen Gesellschaft, die unweigerlich zur bolschewistischen Revolution zu führen hatte, vielmehr extrem hoffnungsvolle Ansätze existiert.

Dem stellte Kroll die Gräuelideen und Gräueltaten des Bolschewismus entgegen. Die Menschenfeindlichkeit Trotzkis und Lenins aus Primärquellen zitierend, ging Kroll auf die ideologischen Grundlagen des Roten Terrors der Bolschewiki ein. Kroll demonstrierte das ganze Ausmaß des Terrors der Bolschewiken ungeschönt, um einer Verharmlosung des Regimes entgegenzutreten.

Für die Zukunft müsse man auf einen sich fortentwickelnden Humanismus hoffen, so Kroll in der anschließenden Diskussion. „Das Ausmaß der Gräueltaten Lenins ist in Deutschland nie angekommen, in Russland gibt es eine Art Stalin-Renaissance“. Russland habe bislang jeden selbst- und alleingeführten Krieg verloren. Russischen Kriegsgewinnen folgte stets eine Manifestierung des Systems, den Niederlagen immer ein Scheitern. So wurden am Ende des Diskussionsabends die Implikationen von Staat und Revolution in Russland in seiner Aktualität heute, 106 Jahre und einen Tag später, drängend bewusst.