Die deutsch-ungarischen Beziehungen sind mehr als tausend Jahre alt und obwohl es viele kulturelle und historische Verbindungen zwischen den beiden Ländern gibt, gestaltet sich das Verhältnis nicht immer problemlos. Wir sprechen zwei verschiedene Sprachen und unsere Denkweisen unterscheiden sich voneinander. Trotzdem ist es wichtig, dass wir uns gegenseitig verstehen, um die guten wirtschaftlichen und politischen Beziehungen aufrecht zu erhalten und ausbauen zu können. Das Deutsch-Ungarische Institut für Europäische Zusammenarbeit am MCC dient diesem Ziel. Herr Bence Bauer, Direktor des Institutes, hielt am 13.09.22 einen Vortrag im MCC Bildungszentrum Miskolc, in dessen Mittelpunkt die Beziehung der beiden Länder, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede standen.

Die deutsch-ungarischen Beziehungen gehen auf die Ehe von König Stephan von Ungarn und Prinzessin Gisela von Bayern zurück. Wie bei allen längerfristigen Beziehungen gab es im deutsch-ungarischen Verhältnis immer wieder Hoch- und Tiefpunkte. Im Laufe der Geschichte haben wir verschiedene Herausforderungen in dieser bilateralen Beziehung erleben können. Das heutige zunehmend von politischen Spannungen und Reibungen geprägte Verhältnis zwischen den beiden Ländern begann im Jahr 2010, als die deutsche Bundesregierung begann, die Reformen Ungarns in einigen Bereichen zu kritisieren.

 

Bence Bauer, Direktor des Ungarisch-Deutschen Instituts erläuterte mit seinem Interviewpartner, Tamás Fonay, Projektassistent am Institut, inwiefern die beiden Länder sich voneinander unterscheiden und welche Gemeinsamkeiten sie haben.

 

Der auffälligste Unterschied ist die Sprache. Die ungarische Sprache ist sehr einzigartig, und weil nur wir Ungarn sie sprechen, versteht niemand sonst die ungarische Denkweise. Das ist eine der Ursachen, warum es sich so schwierig gestaltet, dass unsere Stimme in Europa Gehör findet - erklärte Bence Bauer. Oft entstehen Konflikte wegen ganz einfachen Dingen und sprachlichen Missverständnissen. Begriffe wie „ethnisch“ und „national“ haben in Deutschland eine ganz andere Bedeutung, da diese Ausdrücke eng mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in Verbindung stehen. Auch wenn wir über die Vorkriegszeit sprechen, kann es zu Differenzen kommen. Während wir an die friedlichen Jahre vor dem Krieg denken, assoziieren die Deutschen damit die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur. Deshalb sei es wichtig, betonte der Direktor des Instituts, die richtigen Begriffe zu verwenden und präzise zu sein, damit Ungarn wegen gewissen Formulierungen nicht in ein schlechtes Licht gerückt werde.

 

Auf die Frage, ob es eine ungarische oder eine deutsche Volksseele gebe und wenn ja inwiefern, diese sich ähneln oder unterscheiden, antwortete der Experte, der seit 20 Jahren in Deutschland lebt und die Deutschen gut kennt, dass regionale Identitäten dort viel wichtiger seien. Laut Bauer definieren sich die Deutschen viel mehr als Mitglieder einer kleineren Gemeinschaft und verwenden den Begriff „Nation“ weniger. Wenn man die Denkweise der Deutschen kennenlernt, kann man vielleicht auch besser verstehen, warum Sie uns oft nur so schwer verstehen können. Für wirkliches Verständnis sind jedoch definitiv noch mehr Wissen und Erfahrung erforderlich. Hier kann die Arbeit des Deutsch-Ungarischen Instituts eine große Hilfestellung leisten.

 

Obwohl die politischen Systeme der beiden Länder ähnlich sind, gibt es in Deutschland derzeit eine Ampelkoalition, ein Dreierbündnis aus Grünen, Sozial- und Liberaldemokraten. So müssen alle Entscheidungen der Regierung von drei Parteien gebilligt werden. Diese Ausgangslage wird dadurch erschwert, dass die Bundesländer in die Entscheidungsfindung des Bundes eingebunden sind, so dass bestimmte Schritte kontinuierlich durch Kompromisse zustande kommen müssen. In Ungarn können Entscheidungen relativ schnell getroffen werden, das ist für die deutsche Politik häufig unverständlich. Darüber hinaus wird oft auch das ungarische Wahlsystem kritisiert, welches im Vergleich zum deutschen auf den ersten Blick zu einfach erscheinen mag.

 

Bezüglich der wirtschaftlichen Fragen wurden die Energiekrise und die Atomfrage erörtert, zwei brennende Probleme unserer heutigen Zeit. Die Grünen haben sich immer für den Atomausstieg eingesetzt, sagte der Direktor, aber in der gegenwärtigen Situation könnten sie diejenigen sein, die gezwungen werden, den Betrieb von Atomkraftwerken zu verlängern.

 

Es wurde natürlich auch über den russisch-ukrainischen Krieg gesprochen, der Auswirkungen auf die gesamte europäische Wirtschaft hat und zu dem Ungarn einen anderen Standpunkt als Deutschland vertritt. Laut Bence Bauer nimmt die Solidarität mit den Ukrainern in Deutschland spürbar ab und sie sehen die Situation zunehmend realistisch. Die deutsche Gesellschaft war nicht darauf vorbereitet, dass sich der Konflikt so lange hinziehen würde. Der herrschende Glaube war, je mehr Waffen die Ukrainer bekommen, desto schneller würden sie die Russen besiegen und desto schneller ginge der Krieg vorbei.

 

Über die deutsch-ungarischen Wirtschaftsbeziehungen erklärte Bence Bauer, dass während der 1990er Jahre die günstigen ungarischen Arbeitskräfte einen der wichtigsten Faktoren für Deutschland darstellten. Dies hat sich im Laufe der Zeit geändert. Qualifizierte Arbeitskräfte und eine gute Infrastruktur rückten in den Vordergrund, darüber hinaus gewannen Forschung und Entwicklung zunehmend an Bedeutung. Die Eröffnung des Entwicklungszentrums für Kraftfahrzeugtechnik von Bosch ist ein Beweis dafür.

 

Der Experte sprach auch die deutschen Medien an, die eine Schlüsselrolle in den Beziehungen zwischen den beiden Ländern spielen und oft ein unrealistisches Bild unseres Landes darstellen. Deshalb sei es wichtig, dass sich die Deutschen nicht nur aus deutschen Medien über Ungarn informieren. Wir müssen auch Kontakte über andere Kanäle und persönliche Beziehungen aufbauen.

 

Im Rahmen der Veranstaltung konnten diverse Themen erörtert werden. Beispielsweise werde der Minderheitenfrage von Deutschland positiv bewertet, das ein Vertreter der deutschen Minderheit im ungarischen Parlament sitze. Zahlreiche Städte- und Hochschulpartnerschaften sowie deutschsprachige Schulen tragen dazu bei, dass die deutsch-ungarische Verbundenheit aufrecht erhalten bleibt. Während des Vortrags wurden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Deutschland und Ungarn präzise erörtert und die Zuhörer nutzen gerne die Gelegenheit, um mehr über die wichtige Verbindung zwischen den beiden Ländern zu erfahren. Am Ende wurde unter anderem deutlich, Ungarn bleib sowohl wirtschaftlich einer der wichtigsten Partner als auch touristisch eines der beliebtesten Länder der Deutschen.