Der hochrangige Besuch von Präsident Xi Jinping in Budapest verdeutlicht, dass die guten Wirtschaftsbeziehungen Ungarns zu China Teil einer weitverzweigten strategischen Ausrichtung des Landes sind.

Die Wende vor mehr als 30 Jahren brachte eine Zeit voller Illusionen, das „Ende der Geschichte“ schien erreicht. Die freie Demokratie hatte über den unfreien Kommunismus gesiegt, Ungarn wurde wieder Teil des „freien Westens“. Unter dem Schutz der USA begann für Europa, so schien es, ein immerwährendes goldenes Zeitalter des Friedens, der Freiheit und des Wohlstands.

Keine interessengeleitete nationale Ordnungspolitik

Die politischen Entwicklungen der letzten Jahre haben jedoch gezeigt, dass diese Vorstellungen an ihre Grenzen gestoßen sind. Die weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrisen wiesen in den europäischen Staaten schonungslos auf die Tatsache einer fehlenden interessengeleiteten nationalen Ordnungspolitik hin. Die durch die Coronapandemie bedingten Versorgungskrisen machten die Verwundbarkeit europäischer Gesellschaften deutlich. Der mühselige und schleppende Wiederaufbau („re-start“) nach den negativen wirtschaftlichen und mentalen Folgen von Covid steht auch stellvertretend für diverse Ermattungserscheinungen der postmodernen Gesellschaften des Westens, die in vielerlei Hinsicht bequem geworden sind.

Darüber hinaus sorgte die anhaltende Migrationskrise für immense Herausforderungen der zuwanderungsfreundlichen Länder. Die langfristigen Auswirkungen der Migration aus anderen Kulturkreisen zeigten vor allem in den Bereichen soziale Sicherungssysteme, Wohnungswesen, Bildung, Sicherheit, Arbeitsmarkt und öffentliche Finanzen massive negative Auswirkungen. Leidtragende waren vor allem die mit geringen Einkommen und Vermögen ausgestatteten benachteiligten Bevölkerungsschichten. Diese als Willkommenskultur aufgefasste Migrationspolitik basierte auf einer moralisierenden Grundhaltung, hinter der sich ein globaler Gerechtigkeitsbegriff verbarg, der Staaten das Recht aberkennen will, darüber zu entscheiden, wer sich auf ihrem Territorium ansiedeln darf und wer nicht. Die Aufnahmeländer wurden dadurch aber in ihrer Selbstbehauptung nachhaltig geschwächt, ihre Gesellschaft zunehmend polarisiert und verwundbarer gemacht für eventuelle Krisen.

Der Krieg in der Ukraine und seine Folgen schwächten vor allem den alten Kontinent, der strategie-, orientierungs- und führungslos scheint, während er als Teil der westlichen Werte- und Verteidigungsgemeinschaft die Führungsrolle der Vereinigten Staaten weitgehend akzeptiert – militärisch, wirtschaftlich und politisch. Weite Teile der Welt, insbesondere wichtige aufstrebende Schwellenländer, wollen sich dem Westen unter Führung der Vereinigten Staaten gar nicht oder nur punktuell anschließen und definieren selbstbewusst ihre eigenen Interessen. Hinsichtlich der von den europäischen Nationen angestrebten strategischen Souveränität Europas ist die Zielrichtung nicht eindeutig erkennbar. Einige Länder streben dabei eine größere Unabhängigkeit von den Vereinigten Staaten an, andere setzen auf eine Stärkung der Komplementarität, auf mehr Mitbestimmung und Verantwortung im Konzert des westlichen Bündnisses.

Die Gefahren einer Blockbildung

Schon vor dem Krieg Russlands gegen die Ukraine warnten politische Beobachter vor den Konsequenzen neuer rivalisierender Machtblöcke, insbesondere vor der Umleitung der globalen Handelsströme entlang geopolitischer Einflusszonen. Westliche Strategen diskutieren über die Notwendigkeit eines Decoupling, das heißt eines Abbaus von Wirtschaftsbeziehungen mit nicht freundlich gesinnten Ländern.

Im Fall von China wird auch von einem Derisking gesprochen, was aber in der Tendenz eine ähnliche Stoßrichtung verfolgt und in der letzten Konsequenz ebenso den Abbau bestehender Handelsbeziehungen bedeutet. Die Wirtschaftsbeziehungen mit Russland wurden binnen kürzester Zeit fast vollständig gekappt, um die Abhängigkeit beispielsweise von russischen Energieträgern zu senken. Stattdessen wurden andere – weitaus kostspieligere – Abhängigkeiten eingegangen. Es besteht die Gefahr, dass der von den Vereinigten Staaten angeführte Westen durch Beschränkungen des globalen Freihandels die Grundlagen seiner eigenen Erfolgsgeschichte, nämlich der Globalisierung, in Frage stellt.

Hinzu kommt, dass viele Beobachter ob der bisweilen anmaßenden Selbst­überhöhung der moralischen Überlegenheit von Teilen der westlichen Elite und damit verbundenen Überdehnung der eigenen Kräfte irritiert sind. In der Tat ignorieren die Vertreter der „Priesterherrschaft der Intellektuellen“ (Helmut Schelsky) im Kampf für ihre Werte die Erkenntnis, dass deren universelle Gültigkeit von vielen Gesellschaften außerhalb des Westens in Frage gestellt wird.

Diese von vielen als „Missionierung“ verstandene Politik sowie das Derisking und Decoupling führen letztlich zu einer Blockbildung, in der dann alle zur westlichen politischen Hemisphäre gehörenden Staaten die Führung der Vereinigten Staaten von Amerika in wirtschaftlicher, politischer und kultureller Hinsicht anerkennen – aber auch nur diese. Dieses Vorgehen beinhaltet auch, dass die westliche Staatengemeinschaft schrittweise die Verbindungen mit China reduziert, Sanktionsregimes etabliert, während der militärische Integrationsprozess innerhalb des Blocks verstärkt wird. Die neudefinierte Rolle der USA ist nicht unbedingt die der globalen Hegemonialmacht, sondern vor allem die der weltanschaulichen und ideologischen Führungsmacht. Diese ist neuerdings stark von den Gedanken des Wokeismus, des Postkolonialismus und der Genderideologie geprägt.

Auch auf diese globale Gemengelage reagieren viele Europäer mit der Forderung nach einer strategischen Autonomie – das war viele Jahre lang ein Axiom in Positionspapieren, Podiumsdiskussionen und Parlamentsdebatten in den Mitgliedsstaaten. Doch der Ukraine-Krieg hat eindeutig aufgezeigt: Die Europäer sind und bleiben auf die konventionellen Verteidigungskapazitäten und den atomaren Schutzschirm der USA angewiesen. Die Entwicklung in der Ukraine hat jedoch zu einem Umdenken „im alten Europa“ geführt. Die westlichen Länder folgen nun vielen „neuen“ Ländern und stellen erheblich mehr Ressourcen für die Verteidigung zur Verfügung.

Die ungarische Regierung hat das sicherheitspolitische Defizit schon sehr frühzeitig erkannt und seit 2016 erhebliche Reformen im Verteidigungsbereich durchgeführt und vor allem in militärische Ausrüstung sowie in die Ansiedlung von Rüstungsindustrien, unter anderem in eine umfangreiche Kooperation mit Rheinmetall, investiert. Ferner hat der ungarische Ministerpräsident als einer der ersten die Aufstellung einer europäischen Armee sowie spezielle NATO-Beistandsgarantien für Polen und das Baltikum gefordert und durch eine weitgehende Diversifizierung der Rüstungseinkäufe und Ansiedlung von Unternehmen des Verteidigungssektors – vor allem aus Deutschland, aber auch aus Israel, der Türkei, den USA, Schweden oder Norwegen – eine kluge Vernetzung der Sicherheits- mit den Wirtschaftsinteressen umgesetzt.

Mögliche globale Entwicklungen

Die wirtschaftlich zwar schwächer, doch ideologisch stärker werdende Führungsrolle der Vereinigten Staaten im globalen Kontext bleibt wohl bestehen, doch stellt sich die Frage, welche anderen globalen Führungsmächte in welcher Zahl werden aufschließen können und welche weltweiten Szenarien in Betracht kommen.

Nach der ersten Möglichkeit bliebe die weltweite Ordnung eine unipolare Weltordnung mit einer unbestrittenen Hegemonialstellung der Vereinigten Staaten. Laut einem zweiten Szenario aber könnte der bisherige Hegemon durch das aufstrebende China ersetzt werden. Der dritten Eventualität zufolge könnte sich in Zukunft eine bipolare Welt einstellen, geprägt von einer verschärften Blockbildung zwischen den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten sowie China mit seinen Verbündeten. Einem vierten Szenario nach entstünde eine multipolare Welt mit mehreren Polen als zentralen Akteuren, wie den USA, China, Indien, der EU und weiteren.

Gemäß der vierten Variante käme es zu einem völligen Chaos in der internationalen Friedensordnung mit einer undurchschaubaren Gemengelage. Während die erste, zweite und dritte Theorie eine gewisse Berechenbarkeit stipulieren, herrscht die größte Unsicherheit bei der Multipolarität oder dem Chaos. Doch die voraussichtlich eintretende Multipolarität böte vor allem den Europäern Chancen, ihre Selbstbestimmung und Selbstbehauptung zu erkämpfen.

Wer hat welche Macht?

In militärischer Hinsicht verfügt der von den Vereinigten Staaten geführte Westen über erhebliche Ressourcen. Seine zentrale Position kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum bestritten werden. Unter den zehn Ländern mit den meisten Militärausgaben befinden sich immer noch vier westliche, und die Hälfte aller globalen Militärausgaben entfällt auf die Vereinigten Staaten und ihre Bündnispartner. China folgt zwar unmittelbar auf die USA, doch zeigt sich im direkten Vergleich die Dominanz der USA und ihrer Verbündeten in allen Waffen­gattungen. Diese an sich beruhigende Situation unterstreicht die Bedeutung des westlichen Verteidigungsbündnisses NATO, dessen stolze Mitglieder die Mittel- und Osteuropäer seit nunmehr 25 Jahren sind. Dieses starke Militärbündnis ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung einer erfolgreichen Sicherheitspolitik.

Ganz anders erscheint die Lage in wirtschaftlicher Hinsicht zu sein. Heute repräsentiert der Westen weniger als die Hälfte der globalen Wirtschaftskraft, insbesondere bei den Rohstoffen und den Energieträgern hat der Osten deutlich mehr Zugriff auf wichtige Ressourcen. Ebenso in demographischer Perspektive fällt der Westen deutlich zurück und verfügt nur noch über ein Achtel der Weltbevölkerung. Während vor 20 Jahren die meisten Länder die USA als Handelspartner Nummer eins hatten, ist dies heute in den meisten Fällen die Volksrepublik China. Eine politische Blockbildung kann aber global auch Verbündete der USA von diesen entfremden, wenn auf ideologische Weise Gefolgschaft auch in den Bereichen Freund und Feind, Demokratie gegen Autokratie verlangt wird. Die vielen bisherigen nichtdemokratischen Verbündeten der Vereinigten Staaten könnten sich von diesen abwenden, wenn weltanschaulich ein starker politischer Druck ausgeübt wird. Dazu kann es leicht kommen, schließlich befindet sich der Westen noch immer in einem Zustand „zwischen Anmaßung und Selbsthass“ (Susanne Schröter).

Eine geopolitische Entscheidungsschlacht um die globale Vormachtstellung können die westlichen Staaten nunmehr kaum in wirtschaftlicher oder demographischer Hinsicht gewinnen, sondern nur noch militärisch. Im Zeitalter von Massenvernichtungswaffen kann die Menschheit daran aber kein Interesse haben, so wie kein vernünftiger Mensch auch jemals ein Interesse haben kann, die Fragen der Hegemonialstellung auf dem Schlachtfeld zu entscheiden. Den Europäern muss daran gelegen sein, den Frieden zu bewahren und eine eigenständige Rolle in der neuen Ausgangslage zu finden.

Wohin steuert Europa?

Es kam in der Geschichte immer wieder vor, dass ein Hegemon nicht mehr stark genug war, um die von ihm abhängigen Staaten zu unterstützen, aber immer noch stark genug, um sie zu dominieren oder auf verschiedene Weise Einfluss auf ihre inneren Angelegenheiten zu nehmen. Das gegenwärtige Verhältnis zwischen Russland und Armenien wird bisweilen so beschrieben. Doch auch im Verhältnis zwischen den USA und Europa erkennen bereits heute einige Kritiker der transatlantischen Beziehungen ein solches Muster.

Vor diesem Hintergrund sollte die sich abzeichnende globale Neuordnung als Chance der EU und ihrer Mitgliedsländer zur eigenen Selbstbestimmung und Selbstbehauptung verstanden und diese schlussendlich für die immer wieder geforderte strategische Souveränität des Kontinents genutzt werden. Damit kann Europa aus seinen immensen intellektuellen, geographischen und politischen Ressourcen Kapital schlagen und ein wichtiger Akteur im Hinblick auf eine neue Weltordnung werden.

Was ist die Alternative zur Autonomie? Zurzeit vervielfacht der von den USA angeführte Westen in der beschriebenen Mischung aus Selbstüberhöhung und Selbstüberdehnung die globalen Frontstellungen gegen viele Akteure der Weltpolitik wie China, Russland, Indien oder auch den globalen Süden. Dabei wird eine Abgrenzung und Ausgrenzung betrieben, die immer mehr Selbstzweck wird, mit der aber viele andere Staaten der Welt kaum etwas anfangen dürften, die sich immer mehr vom Westen entfernen. Es wäre die am weitesten erfolgversprechende Herangehensweise für die Europäer, diese Tendenzen zu erkennen und sich ihre eigenen globalen Aktionsradien auszubauen, zu sichern und zu verteidigen, um langfristig als virulenter weltweiter Akteur in Erscheinung zu treten und von den anderen auch als solcher akzeptiert zu werden.

Konnektivität als möglicher Ausweg

Aus der zuvor skizzierten Abwärtsspirale können einzelne Länder oder Regionen herauskommen, die sich nicht auf diese ausweglose Konfrontation einlassen, sondern deren innere Verfasstheit, demokratische Ordnung und intellektuelle Konstitution es ihnen erlauben, negative Denkschemata zu verlassen und einen anderen, ausgleichenden Weg einzuschlagen. Sie benötigen eine Strategie, die ihren geschichtlichen, kulturellen, geographischen, wirtschaftlichen und politischen Voraussetzungen am besten entspricht. Sie können somit Länder sein, die als gedankliche Scharniere der internationalen Ordnung diese intakt halten und eine derart zentrale, ausbalancierende Rolle einnehmen, dass sich auch andere auf sie stützen können. In der bisherigen internationalen Ordnung sind Kanada, Brasilien, Kasachstan und Indonesien als solche „konnektiven Staaten“ aufgefallen. Notwendige Voraussetzungen hierfür sind eine entsprechende geographische Lage, eine stabile politische Führung des Landes, starke Wirtschaftsakteure, international vernetzte Institutionen, die feste Verankerung in der Region und gut ausgebildete Staatsbürger.

Innerhalb der Europäischen Union verfolgt neben Ungarn auch Frankreich diesen konnektiven Ansatz. Der Präsident der „Grande Nation“, Emmanuel Macron, forderte bei verschiedenen Anlässen, zuletzt prominent Ende vergangenen Jahres auf dem Rückflug aus Peking, Europa dürfe nicht blind „dem amerikanischen Rhythmus“ folgen. Der ehemalige österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz bemerkte zur neuen außenpolitischen Leitlinie Ungarns, es handele sich um das ambitionierte Streben um weitgefächerte politische Beziehungen und ökonomische Kooperation innerhalb und außerhalb der eigenen natürlichen geopolitischen Umgebung. Mittelmacht zu sein – eine vermittelnde Macht, die ein engmaschiges Netz aus diplomatischen Kontakten, aber auch aus Handels- und Verkehrsströmen und gegenseitigen Direktinvestitionen webt – ist der Kern der ungarischen Konnektivität, und darum ist es Ungarn sehr daran gelegen, den Neuzuschnitt der Welt in feindliche Blöcke zu vermeiden.

Wodurch eignet sich Ungarn aber als vermittelnder, auf den Prinzipien der Konnektivität aufbauender Staat? Es verfügt zum einen über einen sehr hohen Bildungsgrad seiner Einwohner und eine solide Ausbildung der Arbeitnehmerschaft. Die wirtschaftsfreundliche Politik des Landes hat viele Menschen gut und erfolgreich integriert. Zudem machen die innere Verfasstheit mit einer starken Wertebindung der jüdisch-christlichen Zivilisation, die Ablehnung der illegalen Migration sowie die erfolgreiche Familien- und Geburtenpolitik das Land stark und selbstbestimmt. Die Selbstbehauptung des Landes und das Eintreten für die eigene Bevölkerung stehen im Mittelpunkt. Die auf festen Fundamenten ruhende Gesellschaftspolitik und die politische Stabilität ermöglichen eine solide innere Kohäsion.

Ein wichtiger Pfeiler der angestrebten strategischen Autonomie ist insbesondere eine international wettbewerbsfähige Wirtschaft. In diesem Kontext ist die seit 2010 vorgenommene Neuorientierung der ungarischen Wirtschaftspolitik von elementarer Bedeutung. So hat sich die ungarische Exportleistung in den letzten 15 Jahren verdreifacht. Der Anteil der ungarischen Exporte am Bruttoinlandsprodukt (BIP) erreicht heute rund 85 Prozent und wächst stetig. Auch die ausländischen Direktinvestitionen erreichen immer neue Höchstwerte. Träger dieser Entwicklung ist vor allem eine Öffnung der ungarischen Wirtschaft nach Osten, denn die Märkte im Westen boten nach den Wirtschafts- und Finanzkrisen keine ausreichenden Wachstumsperspektiven.

Voraussetzung dieser erfolgreichen „unorthodoxen“ Wirtschaftspolitik war die Ausübung der nationalen Souveränität über wichtige Instrumente der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Die ungarische Regierung sieht diese Freiheit in Gefahr. Immer wieder weist sie darauf hin, dass sich in der Europäischen Union Prozesse vollziehen, die den Interessen Ungarns zuwiderlaufen würden, insbesondere die Politisierung von Wirtschaftsfragen und die Blockbildung. Statt einer Blockbildung sollte die Ost-West-Kooperation stärker gefördert werden. Es gebe heute zudem eine vollständige Diversifizierung der ausländischen Direktinvestitionen, wobei die höchsten Investitionen in den letzten vier Jahren aus Südkorea und China kämen. Deutsche und US-amerikanische Unternehmen seien bei der Zahl der Projekte aber weiterhin führend. Die Außenwirtschaftspolitik dominiert eindeutig das auswärtige Handeln des Landes, wobei die Regierung dabei eine fein austarierte Förderpolitik verfolgt. Ziel ist es, die wirkungsmächtigsten Nationen mit umfangreichen Investitionen nach Ungarn zu bringen, um so auch außenpolitisch größere Spielräume nutzen zu können.

Es bleibt festzuhalten, dass besonders die Ungarn die Entwicklung von neuen Machtblöcken mit großer Sorge beobachten, denn zu lange lebten sie in einem Grenzland, zu oft war man fremdbeherrscht, zu stark ist noch die Erinnerung an die Zeit als Frontstaat des Ostblocks – des Verliererblocks. Die eigene Geschichte hat sie gelehrt, dass bei Auseinandersetzungen der Zentren solcher Blöcke in der Regel die Peripherie leidet.

In einer neuen Blockbildung finden sich die Grenzstaaten der Europäischen Union plötzlich am Rande der eigenen Zivilisation, in einem Übergangsgebiet wieder. In diesen Regionen macht sich Unsicherheit breit, ob nun wirklich alle Mitglieder des Blocks sie im Krisenfall militärisch, politisch oder wirtschaftlich angemessen unterstützen würden. Im 20. Jahrhundert war Ungarn lange Zeit von Feinden umgeben und konnte erst in den letzten Jahren einvernehmliche, nachhaltige und belastbare Partnerschaften in seiner Nachbarschaft und Region aufbauen.

Das 21. Jahrhundert soll nun im Zeichen der Kooperation und Konnektivität stehen, und so ist Ungarn auf europäischer Ebene zum stärksten Befürworter einer EU-Erweiterung der Westbalkanstaaten geworden. In diesem Sinne wird das Land die anstehende EU-Ratspräsidentschaft intensiv zur Ausweitung der Konnektivität in der Region nutzen. Erklärtes Ziel der ungarischen Politik ist es, ein starkes Europa zu erreichen, das selbstbewusst auftreten kann.

Ausblick

Konnektivität und Resilienz sind erforderlich, wenn es um die Verfestigung eines globalen Handlungsrahmens geht, in dem die Europäer ihre globale Handlungsfähigkeit wiedererlangen können und so in die Lage versetzt werden, ihre Selbstbestimmung und Selbstbehauptung auszubauen. Aus diesen Gründen kann die strategische Souveränität des Kontinents gedanklich gut auf dem Leitbild der Konnektivität gründen, denn diese erlaubt es, sich auf seine eigenen Kräfte und Interessen zu konzentrieren, diese auch offensiv zu vertreten und einen eigenen Handlungsrahmen auszubauen. Die Europäische Union wäre gut beraten, die Möglichkeiten der Strategie der Konnektivität zu erkunden und anzuwenden und in diesem Sinne in einen friedlichen, belastbaren und nachhaltigen Dialog mit den führenden Mächten dieser Welt einzutreten, um die eigene Zukunftsfähigkeit als starkes und selbstbewusstes Europa zu sichern. Dies liegt im Interesse nicht nur Ungarns und Deutschlands, sondern sicher auch im Interesse aller Europäer.

 

Der Autor ist Direktor des Deutsch-Ungarischen Instituts für Europäische Zusammenarbeit am Mathias Corvinus Collegium in Budapest/Ungarn. Er ist Mitherausgeber von „Hungarian Conservative“ und publiziert zu zeitgeschichtlichen und europapolitischen Themen in verschiedensten Medien in deutscher, englischer und ungarischer Sprache.

Der Artikel fußt inhaltlich auf dem jüngst erschienenen Buch von Balázs Orbán: „Hussar Cut: The Hungarian Strategy for Connectivity“, Budapest 2024.

Übersetzt aus dem Ungarischen ins Deutsche von Rainer Ackermann.