Gerhard Schröder und Viktor Orbán waren Gäste der Weltwoche.

Am Vorabend von Allerheiligen kam in Wien ein denkwürdiges Treffen zustande. Auf Einladung der angesehenen Schweizer Wochenzeitung „Weltwoche“ waren Ministerpräsident Viktor Orbán und Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder die Hauptakteure auf dem Podium der auf „Friedensgipfel“ getauften Veranstaltung. Moderiert wurde diese durch den Schweizer Starjournalisten Roger Köppel, Herausgeber und Chefredakteur der „Weltwoche“. Das Ereignis zählte rund 500 geladene Gäste; das Wiener Bürgertum war mit Rang und Namen vertreten, wirklich alle Gesellschaftsschichten waren präsent. Was all diese Menschen an jenem Abend vereinte, war ihr Wunsch nach Frieden und einer vernunftgeleiteten Politik sowie ihr Engagement für ein starkes Europa. Aus dem Wiener Friedensgipfel leiten sich für uns Ungarn fünf wichtige Lehren ab, aber erst recht für die Europäer, die Deutschen und die Österreicher. Diese Lehren können als Kompass dienen, um die ungarische Politik in einen weiter gespannten Kontext einzuordnen und zu deuten.

 

  1. Ungarns politische Führung findet Gehör und viel Unterstützung

Die Podiumsdiskussion vor vollem Haus fand zu Beginn des langen Wochenendes statt. Dennoch versammelten sich bereits Stunden vor Veranstaltungsbeginn Menschenmassen auf der Straße, die nur darauf warteten, hereingelassen zu werden. Es ist immer das gleiche Bild bei öffentlichen Auftritten des ungarischen Ministerpräsidenten. Ähnlich wie in Zürich oder Berlin finden die Auftritte Viktor Orbáns die Aufmerksamkeit breiter Schichten des öffentlichen Lebens, der Medien und des Bürgertums. Keine Spur davon, er wäre angeblich isoliert, ganz im Gegenteil verfolgen die Menschen die Entscheidungen Ungarns und die Reden des Ministerpräsidenten mit großen Sympathien. Der durch das Publikum vor Ort mehrfach frenetisch beklatschte Auftritt von Viktor Orbán befindet sich im Einklang mit der Meinung des Internets: Egal ob online ein positiver Artikel über die ungarische Politik oder die Orbán-Regierung erscheint (was ausgesprochen selten der Fall ist), oder ob es vernichtende Kritiken hagelt (solche Artikel gibt es zuhauf), die Leser stehen einhellig für den ungarischen Weg ein und zeigen mit ihren Kommentaren die wahre Stimmung im Volk an. Die sich freilich häufig extrem von dem unterscheidet, was die sogenannten Leitmedien als vorherrschende Meinung verkaufen wollen.

 

  1. Es braucht echte politische Führer, die Respekt füreinander zeigen

Warum sich hier drei Männer mit so unterschiedlichen politischen Einstellungen auf einem Podium zusammenfanden, verriet Viktor Orbán gleich zu Beginn: Ihn motiviere der Respekt – dies sei nichts anderes als Politik auf Augenhöhe, die Hochachtung vor dem anderen und die Fähigkeit, auch andere Meinungen akzeptieren zu können. Da bleibt kein Platz für Cancel Culture, eingeengte Meinungskorridore oder Kontaktschuld, wie das in Deutschland, Österreich und vielen weiteren westlichen Ländern in Mode ist. Politische Führungsstärke bestehe genau darin, den anderen nicht zu unterdrücken, sondern jedem mit Respekt zu begegnen und der Debatte ein Forum zu geben. Und eben das stehe auch einem ehemaligen deutschen Bundeskanzler zu, mag er noch so unpopulär sein bzw. nicht unsere Meinung teilen. Bei den Bundestagswahlen 2005 war Gerhard Schröder im Übrigen recht beliebt, dessen damaliges Wahlergebnis mit 34,2 Prozent der Stimmen das Doppelte von dem ist, was seine Nachfolger zustande brachten. Während seiner siebenjährigen Regierungszeit machte er Deutschlands Wirtschaft wieder wettbewerbsfähig, erneuerte seine sozialdemokratische Partei und bescherte dem Land einen Aufschwung, der das eigene Selbstvertrauen ankurbelte. Was aber das Wichtigste war: Er tat all das im Interesse der Menschen. Während sich seine Regierung im Kreuzfeuer der Kritik sah. Er tat das, weil er von der Richtigkeit seiner Politik überzeugt war und auf das Urteil der Geschichte vertraute – am Ende sollte er ganz eindeutig Recht behalten. So aber sieht wahre Führung aus: die Richtung vorzugeben, sich über kleinliche politische Tageskämpfe hinwegzusetzen, um in großen Dimensionen denken zu können, dem geführten Land eine Identität und Selbstvertrauen zu geben, damit die Menschen an etwas glauben können, um Verantwortung zu übernehmen für ihr Land und das eigene Schicksal. Das sind die gemeinsamen Züge von Gerhard Schröder und Viktor Orbán. Solche Politiker von Format sucht man heute in der europäischen Politik wie in den einzelnen Ländern aber vergebens. Europa braucht eine interessenbasierte Politik, die andere nicht verachtet, sondern jeden als Partner auf Augenhöhe behandelt und nach Kompromissen trachtet.

 

  1. Eine „neue Mitte“ ist im Entstehen, Linke und Rechte sind Vergangenheit

Besonders ins Auge stechend war jedoch der Umstand, dass der frühere Chefredakteur einer als liberal geltenden Zeitung – „Die Welt“ – gemeinsam mit einem sozialdemokratischen Politiker und dem konservativen Ministerpräsidenten Ungarns auf dem Podium Platz nahm, noch dazu ohne größere Meinungsverschiedenheiten. Die früher existenten Dichotomien zwischen Rechten und Linken sind heute Geschichte. Es zählt immer mehr, dass die Bürger für ideologiebefreite, pragmatische politische Lösungen offen sind, die sie selbst als praktisch empfinden. In diesem Sinne müssen die Regierenden imstande sein, Antworten zu geben. Selbstverständlich steht jede Führung eines Landes auf der Basis einer Werteordnung, die ihre Politik entsprechend prägt. Dieses Wertegerüst aber kann und darf man anderen nicht aufzwingen. Leider geschieht aber genau das unter der linksliberalen Dominanz, mit ihrer Woke-Bewegung und einem verkrampft aufgezwungenen Liberalismus, der immer weniger libertäre, dafür umso mehr doktrinäre, belehrende und ideologisierte Züge trägt. Ein Paradebeispiel liefern die Grünen mit ihren vehementen und schädlichen Versuchen, die Gesellschaft umzuformen. Ungarn ist, wie einst auch Deutschland unter Schröder, das beste Gegenstück, ein Leben und Leben lassen, wo alle Meinungen und auch das Gegenteil davon anzutreffen sind. Im heutigen Deutschland dagegen werden die „akzeptierten“ Meinungen immer weiter eingeschränkt. Die breite Mitte der Gesellschaft ist jedoch überall ganz konkret daran interessiert, in einem friedlichen, lebenswerten und sicheren Land zu leben, mit Arbeit und Leistung voranzukommen und Werte zu schaffen. Sowie interessiert daran, kulturell die eigene Identität zu bewahren, Wurzeln, Heimat, Traditionen und Werte, um diese an die eigenen Kinder weiterzugeben. Die Menschen wollen nicht, dass der Staat sie in ihrem Denken bemuttert oder gar Einfluss auf ihren persönlichen Lebensstil nimmt. In diesem Sinne hat das althergebrachte Politikverständnis ausgedient: Eine „neue Mitte“ ist im Entstehen, die sich entfaltet und schrittweise erstarkt, selbst wenn die politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen dafür noch nicht überall gegeben sind. Die Politik muss also auf eine ganz einfache, normale Lebensauffassung reagieren, wo die Menschen immer mehr vor allem in Frieden gelassen werden wollen. Genau das widerspiegelt sich am Wahlausgang in Österreich und den ostdeutschen Bundesländern: No Migration, no Gender, no War!

 

  1. Das ungarische Modell funktioniert

All das funktioniert in Ungarn auch in der Praxis. Die Migrations-, Gesellschafts- und Friedenspolitik der ungarischen Regierung wird selbst von jenen unterstützt, die nicht konservativ eingestellt oder Fidesz-Anhänger sind. Diese gestützt auf den gesunden Menschenverstand getroffenen Entscheidungen finden Zustimmung auch bei jenen, die keine Fans von Viktor Orbán oder Stammwähler der Regierungsparteien sind. Die Erfolge der ungarischen Politikgestaltung haben für viele andere Länder Modellwert: die arbeitsbasierte Gesellschaft mit einem Mehr von einer Million Beschäftigten, niedrige Steuern, großzügige Familienzuschüsse, eine sinkende Zahl von Abtreibungen, weniger Straftaten, die Stärkung der jüdisch-christlichen Wurzeln, der Schutz der ungarischen und der europäischen Identität, der Schutz der Grenzen und das Zurückdrängen der illegalen Migration. Diese Dinge funktionieren in Ungarn dank einer handlungsfähigen politischen Führung, weshalb unsere Heimat vielen anderen Ländern als Vorbild gilt. Die grundlegende Zielstellung lautet, dass die Bevölkerung profitieren soll, dass es besser wird für die Ungarn und man niemanden zurücklässt. Es sollen alle gut dabei fahren, auch jene, die nicht für die Regierung gestimmt haben. Das Land zu regieren gilt basierend auf dieser Entschlossenheit und diesen Zielstellungen, anstatt die Bevölkerung längs von Ideologien in Gut und Böse einzuteilen und einen gesellschaftlichen Wandel übers Knie zu brechen, wie es beispielsweise die Gender-Bewegung tut.

 

  1. Europas strategische Souveränität

Gerhard Schröder hat schon vor zwanzig Jahren verwirklicht, wovon die heutigen Spitzenpolitiker nur träumen können. Er war es nämlich, der Europa als politische Entität auf die internationale Landkarte setzte und zu einem globalen Spieler machte. Gemeinsam mit den Franzosen gelang es der Regierung Schröder, längs einer starken deutsch-französischen Achse eine souveräne europäische Politik auszugestalten, wovon man heute kaum noch Fragmente erkennen kann. Damals traute man sich, eine eigene Meinung gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika zu artikulieren und diese dann auch selbstbewusst zu vertreten. Wie sich später herausstellte, sollte er mit seinem Kurs Recht behalten. Heute kann Ungarn ein Ideengeber und Katalysator sein, denn es verfügt über eine große Strategie, die epochale Vision der Konnektivität. Damit lässt sich unser alter Kontinent zu neuer Größe führen, der so an weit zurückliegende Erfolge anknüpfen kann. Große Entscheidungen werden durch die großen Nationen getroffen, weshalb die Deutschen und die Franzosen sehr dringend den Spielraum für die Strategie ausgestalten müssen, mit der die ureigenen europäischen Interessen anerkannt werden, um anschließend danach zu handeln. Denn die Interessen Europas sind nicht in allen Belangen deckungsgleich mit jenen der USA. Es gehört viel Mut zu dieser Erkenntnis, gerade vor dem Hintergrund des seit 34 Monaten tobenden Ukraine-Krieges. Eine europäische Friedensinitiative könnte jedoch für eine erfolgreiche Renaissance der lange verlorenen gewichtigen internationalen Rolle und des Ansehens des alten Kontinents sorgen. Diese Friedensmission müsste in erster Linie über eine deutsch-französische Achse zur Verwirklichung gelangen. In jedem Fall ist eine europäische strategische Autonomie notwendig, um Europa zu alter-neuer Größe zu verhelfen. Europa muss zurück auf die globale Landkarte. Das aber gelingt nur, wenn man nicht von anderen Großmächten abhängig ist und sich diesen notgedrungen anpasst, sondern wenn sich Europa um die eigene Achse dreht. Nur dann werden seine Macht und sein Einfluss zurückkehren. Es braucht einmal mehr ein starkes deutsch-französisches Bündnis, das für uns Ungarn von existenzieller Bedeutung ist. Es braucht hier keine Achse Washington-London-Warschau, sondern ein Deutschland-Frankreich-Mitteleuropa.