Egal ob Trump oder Harris: Europa braucht starke Führungspersönlichkeiten, die notfalls auch gegen die US-Interessen entscheiden.

Die aktuelle Wirtschaftskrise, die schon seit längerem schwelenden Probleme und Herausforderungen der europäischen Integration, der Krieg in Europa und die zukünftige Rolle der Europäischen Union sind dabei von zentraler Bedeutung. Europas Stellung in einer multipolaren Welt, deren Hauptmacht die geschwächten, doch immer noch starken Vereinigten Staaten von Amerika ist, kann nur gelingen, wenn Europa sich seiner eigenen Stärke besinnt und die strategische Souveränität des Kontinents ohne oder gar gegen die USA verwirklicht.

Europas Stärke

Ein starkes Europa kann nur durch eine starke europäische Führung realisiert werden. Derzeit ermangelt es einer solchen und die großen europäischen Länder wie auch die Europäische Union selbst erscheint ideen-, führungs- und orientierungslos. Die politischen Entscheider haben oftmals kein klares demokratisches Mandat, keine innere Entschlossenheit und Stärke und sind in innenpolitische Diadochenkämpfe verwickelt. Instabile Regierungskoalitionen, Drei- oder Mehrparteienregierungen und unüberschaubare Mehrheitsbildungen erschweren das politische Geschäft und machen die Regierungsführung träge, schleppend und unentschlossen. Zudem braucht eine starke Führung gewichtige Führungspersönlichkeiten von Rang, die es aber immer seltener gibt. Politische Alphatiere bestimmen das internationale Geschäft, leider ist unter ihnen fast kein Europäer vertreten. Eigentlich müssten mindestens Deutschland und Frankreich solche starken und autonomen Führungspersönlichkeiten hervorbringen, denn ohne das deutsch-französische Duo kann Europa langfristig nicht gelingen.

Es muss auch im Interesse der Europäer sein, sich mit ihrem strategischen Handlungsradius zu behaupten, diesen aber erstmal zu erkennen, zu formulieren und anschließend zu artikulieren. Ihre Politik muss sich danach bestimmen, was gut für die europäischen Bürger ist, und notfalls muss Europa seine eigenen Interessen auch ohne oder gar gegen die Vereinigten Staaten von Amerika gestalten. Die strategische Souveränität Europas kann nur durch die Konnektivität gelingen, d.h. Europa muss mit möglichst vielen Ländern der Welt belastbare Beziehungen in Handel, Infrastruktur, Wirtschaft, Diplomatie ausbauen. Diese Politik muss auf Augenhöhe geschehen, mit dem nötigen Respekt für die anderen und nicht von oben herablassend, der koloniale Blick des Westens muss abgelegt werden.

Eine derartige Neuverortung Europas kann dazu beitragen, dass Europa auch global als eine respektierte Macht angesehen wird, die vermittelnd in der Welt tätig ist und beweisen kann, dass man weltanschaulich zwar fest im Westen ist, dennoch einen Unterschied macht im globalen Handel, in der internationalen Zusammenarbeit und in der Völkerverständigung. Die Autonomie Europas kann durch eine Besinnung auf die eigentlichen Stärken Europas wie Erfindergeist, Diplomatie, Ausgleich gelingen und kann sich nicht orientieren an der interventionistischen, kolonial geprägten Vergangenheit. Insbesondere der Krieg um die Ukraine überließe den Europäern eigentlich die Chance, als Friedensmacht aufzutreten und mit einer deutsch-französischen Mission die Kriegsparteien an einen Tisch zu bringen – ohne die USA.

Die neue Mitte

Unbesehen der politischen Einstellung will auch in Deutschland die breite Mitte der Gesellschaft nichts anderes als in einem friedlichen, freien und sicheren Land leben, in dem man gut und gesichert sein Auskommen findet und seine Zukunft gestalten kann, ohne dass der Staat einem sagt, was man zu tun oder zu unterlassen hat. Die Menschen wollen durch Arbeit und Leistung im Leben vorankommen und ihren Kindern eine gute Zukunft garantieren. Bildung ist dabei ein zentrales Aufstiegsversprechen. Sie möchten ein erfülltes Leben, mit der Bewahrung ihrer kulturellen, geistigen und moralischen Grundlagen. Dabei sind die Ungarn wohl kaum fundamental anders als die breite Mitte der deutschen Gesellschaft. Aber in Deutschland wird bedauerlicherweise durch die Ampelregierung ein ganz anderes Gesellschaftsbild verfolgt und den Leuten zu verkaufen versucht. In Ungarn hingegen wird diesem Lebensgefühl gut entsprochen, auch nicht-konservative Wähler unterstützen die ungarische Regierung in ihrer Migrations-, Gesellschafts-, Wirtschafts-, Energie- und Friedenspolitik. Daher kann auch die von den ungarischen Regierungsparteien verfolgte Politik als genau diese „neue politische Mitte“ betrachtet werden. Die neue politische Mitte ist ein dabei auch Lebensgefühl, diesen einfachen Grundannahmen der eigenen Landesbevölkerung zur Entfaltung zu bringen. Ungestört alter Befindlichkeiten der alten politischen Strömungen entfaltet sich diese neue Mitte gegenwärtig in vielen europäischen Ländern, ob deren Protagonisten nun ehemalige Christdemokraten, Konservative, Freiheitliche, Liberale oder Sozialdemokraten sind. Dies ist auch eine neue Art der Realpolitik, die nicht Illusionen oder Utopien anhängt, sondern ganz pragmatisch und realpolitisch auf der Lebenswirklichkeit der Menschen beruhend gute und nützliche Rahmenbedingungen setzt. Dabei müssen wir Europäer akzeptieren, dass die Welt nicht auf Wunschvorstellungen beruht und wir nicht in einem träumerischen Wolkenkuckucksheim leben, sondern sie folgt ganz simpel den Gesetzmäßigkeiten der Realität. Es darf dabei anderen gegenüber nie der moralische Zeigefinger erhoben werden, sondern Unterschiede sind zu akzeptieren, Toleranz gelten zu lassen und andere Politikansätze zu respektieren.

Fazit

Die Handlungsmaxime einer starken europäischen Führung muss danach ausgerichtet werden, was für die Europäer gut ist, dabei ist das Interesse der eigenen europäischen Bevölkerung in den Mittelpunkt zu stellen. „Europe first“, aber auch „Deutschland zuerst“ und „Frankreich first“ wären dabei die entsprechenden Slogans, mehrere Aspekte des gemeinsamen Unterfangens. Diese europäische Führung muss sich um eine neue gesellschaftliche Mitte kümmern, die fernab jeglicher weltfremden Ideologien oder Utopien ein gutes, sicheres und friedliches Leben haben will. Dabei braucht es aber Führungspersönlichkeiten, allen voran in den wichtigen Mitgliedsländern Deutschland und Frankreich. Die strategische Autonomie des alten Kontinents kann durch Konnektivität und durch eine auf gegenseitigen Respekt basierende, interessengeleitete Außenpolitik verwirklicht werden, in der die Europäer ihren eigenen strategischen Handlungsrahmen glasklar erkennen, formulieren und international genau danach handeln. Nur so gelingt es, Europa wieder groß und stark zu machen.