„Die Zukunft gestalten wir! Wie wir den lähmenden Zeitgeist überwinden“ des Schriftstellers und Historikers Klaus-Rüdiger Mai erschien beim zur Kosmos-Gruppe gehörenden Münchner Langen Müller Verlag. In dessen Sachbuchsegment findet man vor allem zeitgeschichtliche und politische Werke mit großer inhaltlicher Bandbreite. Neben sicherlich nicht unbekannten Namen wie dem Journalisten Heribert Prantl oder dem französischen Philosophen Alain Finkielkraut stößt man auch auf Markus Krall oder Thilo Sarrazin, die mit ihren, oftmals provokativen, Thesen wichtige Beiträge zu aktuellen Debatten verfasst haben. Mit „Die Zukunft gestalten wir!“ lieferte Mai im April 2021 – ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl – eine nicht weniger herausfordernde, für manche vielleicht unruhestiftende, für andere wohl Augen öffnende Schrift.
240 Seiten schwer, erhebt es den nicht wenig ambitionierten Anspruch, der angeschlagenen und müden Demokratie Deutschlands Auswege aus ihren Krisen aufzuzeigen. Zunächst aber seziert der im ostdeutschen Staßfurt geborene Mai im ersten Teil seines Buches die gesellschaftspolitischen Verhältnisse der Bundesrepublik. Deutschland ist nämlich politisch äußerst nervös. Viele nehmen wahr, dass man seine Meinung nicht mehr ganz so frei sagen kann. Oder nur, wenn sie politisch korrekt, also linksliberal, ist. Konservative Stimmen werden schnell als rechts, diskriminierend oder rassistisch verpönt. Es zählt nicht mehr das Argument, sondern die vermeintlich richtige Moral. Und – an 1968 erinnert – stellt der Leser schnell fest, dass die Politisierung der Umweltfragen bis zur Klimahysterie durch Fridays for Future, die Verheißungen der bunten, offenen Gesellschaft im Zuge der Massenmigration sowie Cancel Culture nichts weniger sind als Teile eines tiefgreifenden Umbruchs der Gesellschaft. Hinzu kommen Mais brandaktuelle Betrachtungen: Wie haben die Mächtigen, die globalen Eliten sich die Corona-Pandemie zunutze gemacht?
Klaus-Rüdiger Mai gibt diesem epochalen Wandel, in dem wir uns zu Beginn der dritten Dekade des 21. Jahrhunderts befinden, einen Namen: die Große Transformation oder auch der Great Reset. Der Begriff „Große Transformation“ stammte ursprünglich vom ungarisch-österreichischen Wirtschaftshistoriker Karl Polányi, der damals mit seinem 1944 erschienenen gleichnamigen Werk die tiefgreifenden Umwälzungen in den westlichen Gesellschaften des 19.- und 20. Jahrhunderts untersuchte. Die Große Transformation der Gegenwart heißt dann auch „Great Reset“, wie die gleichnamige Initiative des Vorsitzenden des Weltwirtschaftsforums Klaus Schwab. Gerechter, sozialer und nachhaltiger solle die Welt nach der COVID-19-Pandemie werden, versprechen die globalen Eliten? – Klaus-Rüdiger Mai will dem, wie viele, so nicht ganz glauben. Mai erörtert nicht nur kritisch, sondern ebenso konstruktiv die verschiedenen Sachbereiche, auf die vor dem Hintergrund der großen Umbrüche der Gegenwart ein Auge gelegt werden muss. Er scheut nicht den Blick auf die unrühmliche Bildungslage der Bundesrepublik und beweist tiefgehendes Wissen auch in den Bereichen Wirtschaft oder Innere Sicherheit, wo einiges nicht so ist, wie es sein sollte. Und sich in absehbarer Zeit den Triebkräften der Großen Transformation wegen auch nicht zum Besseren ändern wird.
In der ersten Hälfte des Buches bietet Mai dem Leser daher eine Ahnung von alledem, was in Deutschland womöglich schiefläuft. Mai benennt hier die wichtigsten Akteure, die am Abriss der bürgerlichen Gesellschaft beteiligt sind und den erprobten Werten den Garaus machen wollen. Ultraliberale, Linksliberale, die mächtigen und reichen Eliten, die eine neue Welt oder eben ein neues Deutschland propagieren. Wo soll das alles hinführen? Müsste man da nicht einfach auswandern?
Doch der Vorschlag des Autors ist erbaulicher: Anstatt wie gelähmt im Pessimismus zu versinken, müssen wir durchdenken, aufstehen und aktiv werden. Die Zukunft gehört den Bürgern! Wir Bürger dürfen es „denen da oben“ nicht allein überlassen, unser Leben zu gestalten. Nicht ohne Grund eröffnet und schließt Mai sein Werk mit Zitaten von Kant und Goethe: Entlang der Prinzipien der Aufklärung muss die Freiheit und die Demokratie hochgehalten werden, in der es nie so etwas wie „Alternativlosigkeit“ gibt. Mai skizziert anschließend eine Reihe von Vorschlägen, die allesamt dem bürgerlichen Deutschland eine Renaissance eröffnen würden. Ein Weniger des bürokratischen Staatsapparates fordert er ebenso wie ein Mehr an Bürgerbeteiligung, mehr wirtschaftliche Anreize und daher umso weniger Planwirtschaft. Der lähmende Zeitgeist stammt schließlich auch von Papa Staat, dem Obrigkeitsstaat, der uns bevormundet, und Mama Staat, der nur blind umverteilt, statt Leistung und Kreativität zu fördern. Anstelle der moralischen Diktatur einer linksliberalen Elite sollte unseren Bestrebungen der demokratische Streit zugrunde liegen, betont Klaus-Rüdiger Mai. Nicht zu vergessen: anstatt den Kapitalismus zu verteufeln, sollten wir seine Errungenschaften anerkennen. Sowieso sollte vieles, aus dem das Haus Europa gebaut ist, nicht für die postmodernen Entsorgungsdienste prädestiniert sein. Die heimische Kultur, das Vaterland oder gar die Nation sind zwar Begriffe, die man links der politischen Mitte mittlerweile eher ungern hört, die für einen Gutteil der Bürger aber immer noch positiv konnotiert sind und schlichtweg Patriotismus bedeuten. Nicht Nationalismus. Eben deshalb grenzt sich Mai auch scharf von der AfD ab.
Das Buch kann gar nicht anders, als einen Raum für spannende, hitzige und einfallsreiche Diskussionen zu schaffen. Entweder fühlt sich der Leser überwältigt und schließlich abgeneigt von derart gebündelter, schwer verdaulicher Zeitkritik, oder genau das Gegenteil geschieht, er sieht sich bestätigt in seiner Enttäuschung über die Mächtigen, die am Volk und seinen Belangen vorbeiregieren. Trotz seines scharfen Tons enthält das Werk eine Reihe von Ansätzen, welche längst überfällige Anstöße zum Denken geben. Es ist schließlich nicht nur eine Beschreibung der gesellschaftspolitischen Probleme, die Teil des Umbaus der deutschen Gesellschaft sind, sondern bietet uns auch konkrete politische Lösungsansätze, die jeden einzelnen ansprechen und aufrufen, Bürger und Demokrat im wahrsten Sinne des Wortes zu sein. Ob man an dieser Stelle Klaus-Rüdiger Mai Zustimmung oder Ablehnung entgegenbringen mag, sei unerheblich – das was zählt, ist, von seiner eigenen Mündigkeit Gebrauch zu machen.
Bibliographische Notiz:
Autor: Klaus-Rüdiger Mai
Titel: Die Zukunft gestalten wir! Wie wir den lähmenden Zeitgeist überwinden
Herausgeber: Langen Müller Verlag
Datum der Veröffentlichung: 15. April 2021
Seitenanzahl: 240
ISBN: 978-3784435886