„Wo könnte man über deutsch-ungarische und sächsisch-ungarische Beziehungen, über unser europäisches Miteinander besser sprechen als in Budapest, der Stadt der Brücken?“ – fragte der Sächsische Landtagspräsident Matthias Rößler zu Beginn seiner Festrede im ungarischen Nationalmuseum zu Budapest am vorletzten Montag.

Vielleicht in Dresden, das schon vor der Waldschlößchenbrücke für seine Brücken bekannt war. Doch der Anlass prädestiniert die ungarische Hauptstadt als Austragungsort der Feierlichkeiten: das 30. Jubiläum der Unterzeichnung des Deutsch-Ungarischen Freundschaftsvertrages, unter den am 6. Februar 1992 Bundeskanzler Helmut Kohl und Ministerpräsident József Antall im ungarischen Parlament ihre Tinte setzten.

Kohl: „Wir werden das nie vergessen“

Der Vertrag fasste auf dem Fundament der „traditionellen Freundschaft“ und dem „gemeinsamen kulturellen Erbe“ der beiden Völker einen Plan für die Zusammenarbeit der Zukunft in Schrift. Abstrakt hieß das den Aufbau eines Europa der Grundrechte, Rechtstaatlichkeit und der Demokratie; konkret die Unterstützung Deutschlands bei der Integration Ungarns in die EU und in die NATO. Dem vorangegangen war die Wiedervereinigung Deutschlands, für die Ungarn mit dem Niederreißen des Eisernen Vorhangs gleichsam den Anstoß machte – „Wir, die Deutschen, werden das nie vergessen“, sagte Helmut Kohl damals vorausschauend in seiner Rede in Budapest.

Der gemeinsamen Grundlagen erinnern

Seitdem vergingen 30 Jahre, die Deutschen haben nicht vergessen, aber die deutsch-ungarische Aufbruchsstimmung der Neunziger und die Begeisterung füreinander hat nachgelassen, wenn man allein daran denkt, dass einzelne Stimmen inzwischen vom Rauswurf Ungarns aus der EU schwadronieren. Es ist also sicher kein überflüssiges Anliegen, sich der deutsch-ungarischen Freundschaft einmal mehr zu vergewissern und sich der gemeinsamen Grundlagen zu erinnern. Zur Jubiläumsfeier kamen mehr als 200 Gäste, darunter nicht nur viele namhafte Vertreter des deutsch-ungarischen Lebens, sondern auch zahlreiche Studenten. Zudem waren an der Organisation des Festaktes mehrere deutsch-ungarische Institutionen beteiligt. Hauptveranstalter waren das Deutsch-Ungarische Institut am Mathias Corvinus Collegium, die Stiftung für ein Bürgerliches Ungarn sowie das Budapester Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung. Unterstützung erhielten sie von der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer, der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen, dem Deutschen Wirtschaftsklub Ungarn sowie von der Deutschen Botschaft. Zwar war die Veranstaltung natürlich kein offizieller Staatsakt, doch als die Nationalhymnen Deutschlands und Ungarns eingangs erklangen, rückte sie durchaus etwas in diese Nähe. Die Reden hielten der Reihenfolge nach Zoltán Szalai, der Generaldirektor des MCC, Michael Winzer, Leiter des Auslandsbüros Ungarn der Konrad-Adenauer-Stiftung, der deutsche Botschafter Johannes Haindl und DUIHK-Geschäftsführerin Barbara Zollmann. Den Höhepunkt des Abends bildeten im Anschluss die Festreden von Parlamentspräsident Matthias Rößler und Kanzleramtsminister Gergely Gulyás.

Keine Angst vorm wiedervereinigten Deutschland

Szalai sprach in seinem Grußwort eine Tatsache aus, die in Deutschland vielen womöglich nicht bewusst ist: „Andere fürchteten das wiedervereinigte Deutschland, selbst viele Deutsche taten das, wir aber in Ungarn hatten keine Angst.“ Seit der Wende hätten sich die beiden Länder hervorragend entwickelt, die Freundschaft wurde intensiviert, und die Wirtschaftsbeziehungen erreichten eine nie zuvor gesehene Tiefe, so Szalai. Trotz des engen Kontaktes seien im öffentlichen Diskurs vielfach „Stimmen der Entfremdung“ zu hören. Auch Michael Winzer betonte die solide Freundschaft, die beide Völker füreinander hegen. Winzer führte die Ergebnisse des Deutsch-Ungarischen Barometers an, wonach 80 Prozent der befragten Deutschen und Ungarn „Sympathie“ für das jeweils andere Volk empfinden. Und auch Botschafter Johannes Haindl hob hervor, dass zwischen Deutschen und Ungarn eine starke Verbundenheit bestehe, jedoch gingen die politischen Meinungsverschiedenheiten gelegentlich mit einer „lauten Rhetorik“ einher. Nachfolgend ging Barbara Zollmann tiefer auf die engen wirtschaftlichen Beziehungen der beiden Länder ein: „Deutschland ist immer noch, und soll es auch weiterhin bleiben, der wichtigste Handelspartner Ungarns“. Geändert habe sich dabei Ungarns Rolle, das früher für deutsche Unternehmen lediglich eine „verlängerte Werkbank“ gewesen sei, heute aber zu einem Standort für Forschung und Entwicklung avancierte, so Zollmann.

Antikommunistischer Freiheitskampf – eine verbindende Erfahrung

„Ungarn hat mich früh in seinen Bann gezogen“, gibt Matthias Rößler zu Beginn seiner Festrede bekannt. Mit 18 Jahren, im Jahre 1973, hat Matthias Rößler das erste Mal Pepsi getrunken, in der ungarischen Hauptstadt, und dort auch in der DDR verbotene Bücher gekauft. Rößler, Initiator des Forums Mitteleuropa beim Sächsischen Landtag, versteht Sachsen als selbstverständlichen Teil Mitteleuropas und sieht vor allem im antikommunistischen Freiheitskampf ein gemeinsame und verbindende Erfahrung zwischen den Ostdeutschen und den mitteleuropäischen Nachbarn. Dass ihm die deutsch-ungarische Freundschaft ein „inneres Anliegen“ sei, ist daher nicht schwer nachzuvollziehen. Besonders aktuell seien Helmut Kohls Worte vom 6. Februar 1992: „Dieses Europa bleibt ein Torso, wenn Ungarn nicht Teil dieses Europa ist. Ungarn braucht Europa, aber Europa braucht auch Ungarn“. Die Stärke Europas liege in der Vielfalt seiner Nationen, betonte Rößler, in denen unterschiedliche Vorstellungen von Ehe, Religion und Migration, Individualität und Gemeinschaft legitim seien. Dialog und Kooperation auf Augenhöhe „in guten wie in schlechten Zeiten“ müssten an vorderster Stelle stehen, um das gemeinsame europäische Projekt voranzutreiben. Aber insbesondere die „Landsleute im Westen Deutschlands“ hätten wegen ihrer anderen historischen Erfahrungen im Unterschied zu den Ostdeutschen Probleme, den Ungarn auf Augenhöhe zu begegnen.

Kein Interesse an Belehrungen in Sachen Freiheit

Gergely Gulyás sprach, wohl angesichts der nahenden Wahlen, kämpferischer und scheute auch den einen oder anderen Seitenhieb nicht. Der Kanzleramtsminister unterstrich, dass Deutschland und Ungarn stets Verbündete waren und dies im Hinblick auf die Zukunft Grund für Optimismus gebe und geben müsse. Beide Völker haben 1989 ihren Weg in die Freiheit und Demokratie erkämpft. „Ungarn ist heute das Land, das sich in der EU am stärksten für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einsetzt“, unterstrich er. In Ungarn seien der Ministerpräsident, der Parlamentspräsident und der Staatspräsident ehemalige Freiheitskämpfer gegen das kommunistische System. „Kein anderes europäisches Land kann das von seiner politischen Führung behaupten“, merkte Gulyás an. Deshalb nehme man in Ungarn Belehrungen in Sachen Freiheit auch nur ungern an. Deutschland sei heute zwar ein sehr vielfältiges Land, in einigen Bereichen fehle diese Vielfalt jedoch, so etwa „in bedenklichem Maße in der Presse“, fand Gulyás.  Als Beispiel führte er eine dpa-Meldung an, in der unwahr behauptet wurde, Orbán hätte einen EU-Austritt angedroht. Was die gemeinsame Zukunft der Europäischen Union anbelangt, sollte man sich vor allem vor dem Hintergrund der unterschiedlichen nationalen Visionen auf den gemeinsamen Nenner „Pacta sunt servanda“ einigen. Die Mitgliedstaaten sollten sich demnach an die in den EU-Verträgen festgeschriebenen Regeln halten und ihre Kompetenzen nicht überschreiten, so Gulyás. Ansonsten müsse man die Verträge neuverhandeln. Generell sollte man nicht versuchen, eigene gesellschaftspolitische Vorstellungen anderen Staaten aufzuzwingen: „Mit der Gesellschaftspolitik der deutschen Regierung würde man in unserer Region wohl nicht einmal ins Parlament kommen“, gab Gulyás zu bedenken.