„Der Unterschied von Multikulturalität und Multikulturalismus ist einfach. Der eine Begriff – Multikulturalität – beschreibt eine empirische Tatsache. Der andere – Multikulturalismus – ein ideologisches Ziel. Letzteres, also der Multikulturalismus, strebt einen grundlegenden Umbau der europäischen Gesellschaften an.”
Mit diesen Worten fasste Dr. Alexander Grau, Publizist, Philosoph, Journalist und derzeitiger Visiting Fellow des Deutsch-Ungarischen Instituts für Europäische Zusammenarbeit (DUI) am Mathias Corvinus Collegium (MCC), seinen 20-minütigen einleitenden Kurzvortrag zusammen, den er am 16. Mai 2023 im Rahmen der Veranstaltung „Multikulturalismus – Traum oder Alptraum?” am MCC Zalaegerszeg hielt. An Graus Vortrag schloss sich eine ca. einstündige Podiumsdiskussion mit Bence Bauer, Direktor des DUI, moderiert von Alexander Rasthofer, Projektassistent für Forschung des DUI, an. Die Abendveranstaltung versammelte ein altersgemäßig breit gemischtes, interessiertes Publikum von an die 80 Zuhörern.
Nach der Begrüßung und Eröffnung der Veranstaltung durch die Leiterin des MCC Zalaegerszeg Dr. Zsófia Sali und den Moderator, stimmte Grau in seinem einleitenden Inputvortrag das Publikum auf das Thema des Multikulturalismus in Deutschland, Ungarn und Europa ein. Hierbei zeichnete er nach einer kurzen Erklärung des Konzepts, zunächst die multikultrelle historische Struktur und Genese Europas als vielfältigen Kulturraum nach. Insbesondere die ungarische und die deutsche Geschichte seien sehr schöne Beispiele dafür, wie „die Stürme der Geschichte über Jahrhunderte ganze Völkerschaften durcheinanderwirbelten, wie Siedlungsregionen erschlossen, erobert, neu besiedelt, wieder erobert, zurückgewonnen und so weiter wurden.“
Nichtsdestotrotz könne man in der Alltags- und Hochkultur selbstverständlich bestimmte lokale, regionale oder nationale Besonderheiten und Unterschiede feststellen. Diese seien zwar nicht immer klar abgrenzbar, deren Gravitationszentren könne man jedoch als „Leitkultur“ bezeichnen. Verschiedene Kulturen und Multikulturalität an sich seien erstmal nichts Schlimmes, ja etwas Bereicherndes. Dennoch ließen sich zwei Probleme feststellen: Erstens, die Masseneinwanderung, die begünstige, dass anstatt eines multikulturellen Gefüges immer häufiger abgegrenzte Parallelgesellschaften entstünden, die sich nicht in die Mehrheitsgesellschaft integrierten. Zweitens, die falsche Debatte, die anstatt der historischen Tatsache der Multikulturalität das ideologische Konzept des Multikulturalismus diskutiere (s. o.). Dieses werde „hier zu einem Hebel der neuen politischen Linken, die europäischen Gesellschaften in ihrem Sinne umzubauen.“ Aus der multikulturellen werde die „multikulturalistische“ Gesellschaft – keine Vielfalt, sondern eine globale Monokultur.
Die anschließende Podiumsdiskussion führte die Diskutanten über die Frage, wie sich Einwanderer in pluralistische Gesellschaften integrieren könnten, obwohl diese ihnen keine Kultur, sondern vielmehr lediglich abstrakte Werte anböten, über die Frage nach der Rolle der Leitkultur bis zur Moralisierung und „Entsachlichung“ der Debatten, die Grau als Hypermoral bezeichnete. Bauer sprach weiterhin über die unterschiedlichen Debatten und Wahrnehmungen in Deutschland und Ungarn sowie die verschiedenen politischen Lösungsansätze und Maßstäbe der beiden Länder.
Mit den Fragen des Publikums, unter anderem zur Rolle der Jugend in den modernen multikulturellen Gesellschaften sowie der Abschlussdebatte zu den Grenzen der uneingeschränkten Bejahung von Vielfalt schloss der gelungene Abend. Bauer betonte: Man müsse kritisch beachten, dass „zu viel Vielfalt nicht zu Einfalt werden dürfe.“
Im Rahmen seines Besuchsprogrammes in Zalaegerszeg besuchte Grau überdies die ZalaZONE Teststrecke für autonomes Fahren und Zukunftstechnologien, um sich über die Rolle Ungarns als Standort für Wirtschaft, Forschung und Entwicklung in Europa zu informieren.