Wir leben in stürmischen Zeiten, so die These des Direktors der Europäischen Akademie Berlin, Dr. Christian Johann, der am 24. April 2025 auf Einladung des Deutsch-Ungarischen Instituts für Europäische Zusammenarbeit am Mathias Corvinus Collegium (MCC) in Budapest einen Vortrag hielt. Unter dem Titel „Brücken bauen in stürmischen Zeiten - Die Rolle von Jugend, Dialog und zivilgesellschaftlichem Austausch“ analysierte er die transatlantischen, europäischen und deutsch-ungarischen Beziehungen, ihre Herausforderungen sowie deren Auswirkungen. Ferner ging er der Frage nach, wie Dialog und zivilgesellschaftlicher Austausch zur Bewältigung dieser aktuellen Herausforderungen beitragen können. Dabei stellte er auch die Rolle der Jugend in den Mittelpunkt. Rund 35 Teilnehmer besuchten den Vortrag, der von Tristan Csaplár, Forschungskoordinator des Deutsch-Ungarischen Instituts, moderiert wurde.
Mit einem einleitenden Grußwort eröffnete Bence Bauer, Direktor des Instituts, die erste Veranstaltung nach der Osterpause. Hier ging er auf die Bedeutung Budapests und Ungarns als Brückenstadt bzw. Brückenland ein. Ungarn habe als Schwellenland zwischen verschiedenen Kulturräumen, Religionen und politischen Blöcken historisch viel Erfahrungen mit Austausch, Dialog und Vermittlung gesammelt. Umso wichtiger sei dem Land heute der Ansatz der Interkonnektivität, der Ungarn „im Herzen eines verknüpften Europas“ sehe. Gemeinsam mit Deutschland als Freund und Partner habe man in der Vergangenheit beider Länder in Eintracht zahlreiche Herausforderungen in Europa bewältigt.
Dabei habe auch stets der Dialog zwischen den Menschen, insbesondere der Jugend, eine zentrale Rolle gespielt. Dieser Mission sehe sich auch das Deutsch-Ungarische Institut für Europäische Zusammenarbeit verpflichtet, welches eine Plattform für einen solchen konstruktiven und freundschaftlichen Dialog darstellen wolle. Angesichts der stürmischen Zeiten, auf die Christian Johanns Vortragstitel anspiele, gelte es nun mehr denn je, mit zivilgesellschaftlichem Engagement Probleme zwischen beiden Ländern auszuräumen und die Brücken zwischeneinander zu erneuern. Denn, so betonte Bauer auch, Deutschland sei in Ostmitteleuropa bisher stets als „guter, verlässlicher und nachhaltiger Brückenbauer“ bekannt gewesen.
Dr. Christian Johann begann seinen Vortrag mit der Feststellung, dass viele Gewissheiten von einst heute ins Wanken geraten seien. Der europäische Raum sei nach wie vor durch eine historische Zweiteilung geprägt. Zwischen diesen beiden Räumen gebe es, so Johann, jedoch ein sogenanntes „drittes Europa“, ein vielgestaltiger Raum der Übergänge, der Ideen und des Dialogs zwischen Ost und West, Nord und Süd. Zunächst jedoch zeichnete er den Verlust des Vertrauens in Europa nach. Die Geschichte seiner eigenen Institution, der Europäischen Akademie Berlin, habe einst in einem europäischen Vertrauensbeweis gewurzelt: Der historischen Rede des US-Präsidenten John F. Kennedy 1963, in der er sagte: „Ich bin ein Berliner“. Die EAB sei in dessen Folge als Ort der intereuropäischen Begegnung und Verständigung geboren worden. Insbesondere mit dem Ende des Kalten Krieges habe sich eine intensive Dynamik des Vertrauens in eine gemeinsame europäische Zukunft entwickelt. Die zukunftsgerichtete Perspektive habe sich inzwischen jedoch für viele Menschen erschöpft.
Deswegen brauche es politische Bildung und Beteiligung, denn diese schaffe Bewegung und Vertrauen in die eigene Problemlösungsfähigkeit. Insbesondere die politische Arbeit mit Jugendlichen müsse hier eine zentrale Rolle einnehmen. Dies stehe im Mittelpunkt der Arbeit der EAB, wobei sie auch spielerische, digitale und technische Möglichkeiten in den Lernprozess mit einbringe. Ein weiterer Pfeiler diese politischen Bildungsarbeit und Verständigung seien verschiedene regionale und interregionale Foren und Formate, wie etwa das deutsch-tschechische, ungarische, chinesische oder taiwanische Forum. Diese Netzwerke würden durch persönliche Verbindungen Vertrauen und Resilienz schaffen, auch dann, wenn Institutionen ins Schwanken gerieten. So entstünde durch zahlreiche Debatten und Verknüpfungen der vielgestaltige Raum des „dritten Europas“, der auch im turbulenten Zeiten ein lebhaftes Fundament für Demokratie und ihre Prozesse bereite. Dieser Raum könne aktiv gestaltet werden und befinde sich so in stetiger kooperativer Fortentwicklung.
Im Anschluss an den Vortrag wurde eine lebhafte Podiumsdiskussion eröffnet, in der sich die Teilnehmer mit der Frage auseinandersetzten, wie die EAB als Raum lebhafter Debatten Menschen aus allen Lebensbereichen und politischen Richtungen, vom Soldaten bis zur alternativen Kunststudentin, zusammenzubringe. Diese Debattenräume, die offen für zahlreiche Ideen gestaltet werden müssten, stünden im Zentrum der Arbeit der Akademie, was diese mit dem MCC als Debattenraum verbinde. Die EAB werde hierbei durch zahlreiche vielfältige Partner des öffentlichen und privaten Sektors aus Europa und Deutschland gefördert, um Menschen zusammenzubringen und ins Gespräch miteinander zu bringen – als guter Gastgeber und Netzwerker.
Im Weiteren wurde über die Arbeit des Deutsch-Ungarischen Forums und die Situation der deutsch-ungarischen Beziehungen gesprochen. Johann betonte, dass die Verwerfungen zwischen Deutschland und Ungarn leider im Moment so groß seien, wie kaum zuvor, obwohl die beiden Länder nach wie vor vieles verbinde. Dies sei jedoch kein deutsch-ungarisches Problem allein. Dennoch glaube er an die Kraft der Vernunft. Probleme seien nur ein weiterer Ansporn, Menschen aus beiden Gesellschaften zusammenzubringen, um über Grenzen hinweg aus der Zivilgesellschaft hinaus in die Politik hineinzuwirken. Auch Erasmus+, aus dem einige ungarische Universitäten im Moment ausgeschlossen sind, sei hierfür eines der wichtigsten Programme im Bereich des Jugendaustauschs. Der Abend wurde mit der Erörterung der politischen Enttäuschung und der Radikalisierung im Wahlverhalten der Jugend, der Einbindung radikaler Kräfte in den Dialogprozess sowie den Fragen aus dem Publikum beschlossen.