Am Mittwoch, den 4. September 2024, fand anlässlich des 35. Jahrestages der Grenzöffnung 1989 eine Gedenkveranstaltung im Mathias Corvinus Collegium in Budapest statt. Organisiert wurden die Festlichkeiten in Zusammenarbeit der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland e.V. mit dem Deutsch-Ungarischen Institut für Europäische Zusammenarbeit.

Am 11. September 1989 öffnete die ungarische Regierung die westungarische Grenze für DDR-Bürger, die innerhalb von drei Tagen zu Tausenden über Österreich in die Bundesrepublik Deutschland ausreisten. Die Ereignisse um Sopron und die Öffnung der Grenze vor 35 Jahren haben die Entwicklung Europas und der deutsch-ungarischen Beziehungen von der jüngsten Vergangenheit bis in die Gegenwart entscheidend geprägt.

In seiner Eröffnungsrede wies Zoltán Szalai, Generaldirektor des Mathias Corvinus Collegiums (MCC), auf die Bedeutung des kulturellen Reichtums unseres eng verbundenen Kontinents hin. Die Vielfalt der europäischen Kulturen sei – ebenso wie der freie Austausch von Meinungen und Ideen – ein äußerst wichtiges Gut und es sei kein Zufall, dass über ihren Erhalt bereits in der Zeit nach der Grenzöffnung Einigkeit zwischen József Antall und Helmut Kohl bestand. „Darauf begründen wir auch heute die Pflege der österreichisch-ungarischen und deutsch-ungarischen Freundschaft und müssen diese weiter ausbauen“, so Szalai.

Der Präsident der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft, Dr. Gerhard Papke, drückte seine tiefe Dankbarkeit gegenüber Ungarn aus und wies darauf hin, wie wichtig es sei, die Ereignisse in Ungarn auch in Deutschland zu würdigen. Schließlich habe die Grenzöffnung, wenn auch ohne das Wissen vieler, die Weiterexistenz der kommunistischen Deutschen Demokratischen Republik das Ende eingeläutet. Papke war der Meinung, dass die Ereignisse vor 35 Jahren viel über die Freiheitsliebe der ungarischen Nation aussagten. Es sei kein Zufall, dass es die Ungarn waren, die trotz der Gefahren das Risiko eingingen, ihre Grenzen zum Westen für ostdeutsche Flüchtlinge zu öffnen. Papke stellte eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart her und unterstrich die Defizite der heutigen deutschen Außenpolitik gegenüber der Ukraine: Hans-Dietrich Genscher und Helmut Kohl, die führenden deutschen Politiker jener Zeit, hätten niemals tatenlos zugesehen, wie die Ukraine und Europa unter dem langwierigen Konflikt litten. „Ohne die deutsch-ungarische Freundschaft gibt es keine Chance, ein freies Europa zu erhalten“, erklärte Papke abschließend.

In ihrer Begrüßungsrede hob Christiana Markert, Chargé d’affaires der deutschen Botschaft in Budapest, die Bedeutung des jüngsten Besuchs des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier in Ungarn hervor. Am 19. August dieses Jahres traf das deutsche Staatsoberhaupt mit dem ungarischen Staatspräsidenten Tamás Sulyok in Sopron zusammen. Gemeinsam nahmen sie an der Gedenkfeier zum 35. Jahrestag des Paneuropäischen Picknicks und des Grenzübergangs im zugehörigen Gedenkpark in Sopronpuszta teil. Markert erinnerte an die Rede von Bundespräsident Steinmeier, der gesagt hatte, dass „Ungarn 1989 das Fenster zur Welt öffnete“. Markert betonte auch, dass Menschen wie die Ungarn, mit einem unbeugsamen Freiheitsgeist und -gefühl, nicht immer einfache Partner seien, wenn es darum geht, schwierige Themen zu diskutieren. Es seien aber auch keine einfachen Zeiten, und deshalb sei es umso wichtiger, den Dialog zwischen beiden Ländern aufrechtzuerhalten und zu verbessern.

Miklós Panyi, stellvertretender Minister des Ministerpräsidentenamtes und Staatssekretär für parlamentarische und strategische Angelegenheiten, unterstrich in seiner Rede den besonderen Wert solcher Feierlichkeiten für die Annäherung beider Länder, besonders in einer Zeit, in der Europa durch viele Fragen gespalten sei. Beide Länder seien durch 1000 Jahre gemeinsamer deutsch-ungarischer Geschichte verbunden, die reich an Zusammenarbeit und Konflikten sei. Ferner seien ihre Bürger auch gemeinsame Bewohner eines geteilten Kulturraums, der sie dazu prädestiniere, einander zuzuhören und sich um gegenseitiges Verständnis zu bemühen, um gemeinsam für den Frieden in unserer Region zu kämpfen. Obwohl es viele strittige Fragen gebe, die die Beziehungen zwischen Budapest und Berlin heute erschwerten, solle man „Debatten dennoch als konstruktives Instrument betrachten und als einen Schritt auf dem Weg zum gegenseitigen Verständnis", sagte Panyi in seiner Rede. In seinen abschließenden Worten betonte der stellvertretende Minister, dass man im Rückblick auf die vergangenen 35 Jahre mit Stolz auf die gemeinsamen Erfolge der nahen Vergangenheit zurückblicken könne, die zur Einheit, Sicherheit und zum Wohlstand des Kontinents beigetragen hätten.

Ralf Schuler, Zeitzeuge und Journalist des Nachrichtenportals Nius, erinnerte in seiner Festrede an die Monate vor 1989, eine Zeit der Vorfreude und Aufregung, aber ohne das Gefühl der möglichen Niederlage der kommunistischen Diktatur in Ostdeutschland. Da Schuler mehrere Sommer in Ungarn verbracht hatte, war er schon als junger Erwachsener mit den Unterschieden zwischen dem Alltag in Ungarn und dem in der DDR konfrontiert worden. In den letzten Jahren der Kádár-Ära sei die Freiheit des Alltags für junge Ostdeutsche, die Budapest oder den Plattensee besuchten, bereits schrittweise, halblegal erfahrbar gewesen, berichtete Schuler. 

Für die Deutschen, deren Mentalität im Hinblick auf Demonstrationen und Straßenpolitik eingangs vielleicht eher zurückhaltender gewesen sei, sei die Massenflucht der Ostdeutschen in den Westen – für welche die ungarische Grenzöffnung einen besonders symbolischen Punkt dargestellt habe – der Zündpunkt gewesen, der die wachsende politische Unzufriedenheit in der Bevölkerung unumkehrbar zum Überkochen gebracht habe. Dies wiederum habe in kurzer Zeit zum Sturz des kommunistischen Hardliner-Regimes in der DDR geführt.

In seinem Schlusswort erinnerte Bence Bauer, Direktor des Ungarisch-Deutschen Instituts für Europäische Zusammenarbeit, an den herausragenden Beitrag von Otto von Habsburg zum Paneuropäischen Picknick, das der Grenzöffnung vorausging, und lobte die wichtige Rolle von Ministerpräsident Miklós Németh, der die Grenzöffnung am 11. September ermöglichte.

Die Festveranstaltung, an der rund 140 Gäste teilnahmen, wurde vom Caprice Quartett begleitet, das den „Csárdás“ von Vittorio Monti, „Die Sechs Tänze“ von Ferenc Farkas und „Die Ode an die Freude“ von Ludwig van Beethoven aufführte.