Die Debatte über die Integration von Muslimen, sie gleicht oft einem Minenfeld. Die Fronten sind ideologisch verhärtet. Einen kritischen Blick auf die Debattenkultur rund um die Integration hat unser Gast von der Goethe-Universität Frankfurt, die deutsche Ethnologin, Islamforscherin und Direktorin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam (FFGI) und Gründungsmitglied des bürgerlichen Thinktank Republik 21 - R21, Professor Dr. Susanne Schröter. Scheitert der Westen angesichts der aktuellen Krisen an seiner eigenen Doppelmoral? Wie geeint ist die vermeintliche Geschlossenheit, wenn es um nationale Interessen geht? Als Antwort auf diese Fragen diagnostiziert Susanne Schröter, in ihrem jüngsten Buch „Global gescheitert? Der Westen zwischen Anmaßung und Selbsthass.” ein tiefgreifendes strukturelles Problem des Westens.

Bei der Buchpräsentation am 8. März 2023 im Café Scruton am Mathias Corvinus Collegium (MCC) mit rund 100 Teilnehmern analysiert Professor Schröter die politische Situation des Westens und stellt die These auf, dass der Western zu scheitern drohe. Die Ursache dafür sieht sie vor allem in seiner geistigen Situation. Sie beschreibt diese als eine Mischung aus Anmaßung und Selbsthass.

Die Veranstaltung wurde vom Direktor des Deutsch-Ungarischen Instituts für Europäische Zusammenarbeit, Dr. Bence Bauer, eröffnet und von Prof. Dr. Heinz Theisen, Professor für Politikwissenschaft an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Köln und Visiting Fellow des Mathias Corvinus Collegiums, moderiert. Professor Theisen betonte in dieser Hinsicht den Mut von Schröter, in Deutschland über den Islam zu forschen und sich explizit gegen die weit verbreitete Meinung zu stellen, westliche Normen könnten auf andere Kulturen übertragen werden. Sie erkenne die Zusammenhänge zwischen Selbsthass und Anmaßung der westlichen Weltpolitik und fülle somit eine Lücke in der deutschen Politikforschung.

Angesichts der jüngsten Konflikte in der Ukraine, in Afghanistan und Mali sowie der Planlosigkeit westlicher Regierungen im Umgang mit Migrationsbewegungen, Islamismus und Cancel Culture diagnostizierte Professor Schröter einen zwischen Hybris und Selbsthass gefangenen Westen, der unentwegt die Werte der Demokratiebeschwörte, sie aber gleichzeitig immer dann verrate, wenn es darauf ankomme. Befindet sich der Westen auf dem besten Weg, die eigene innen- wie außenpolitische Glaubwürdigkeit zu verspielen? Droht der Westen zu scheitern? Gibt es noch Hoffnung? Wie viel sind dem Westen die eigenen Ideale wert? 

Professor Schröter kritisierte, dass in Deutschland über Integration keine offene Debatte mehr geführt werden könne: „Wir müssen aufpassen, dass die individuellen Freiheitsrechte uns nicht verlorengehen.“ Sie sprach darüber, dass die Idee zu ihrem Buch ihren Ursprung in Afghanistan habe, wo sich nach dem Abzug der westlichen Mächte 2020 keine nennenswerte Zivilgesellschaft den Taliban entgegengestellt habe. Dies sei nur eines von vielen Fallbeispielen, in denen der Westen fälschlicherweise angenommen habe, dass sein Einfluss in einer islamisch geprägten Gesellschaft automatisch Demokratisierungsprozesse auslösen würde. Professor Schröter kritisierte hinsichtlich des Kriegs in der Ukraine die geringe Lernfähigkeit westlicher Außenpolitik,  also nicht aus den Fehlern der letzten Krisen, wie beispielsweise dem Irakkrieg oder auch der misslungenen Migrationspolitik, zu lernen. Im Gegenteil: Fehler würden schöngeredet und unter dem Deckmantel einer liberalen Modernisierungspolitik moralisiert.

Im zweiten Teil ihres Vortrags ging es um das Unverständnis, auf das sie zuweilen in Deutschland hinsichtlich ihrer kritischen Auseinandersetzung stoße: Der ideale Anspruch einer linksliberal geprägten Gesellschaft, moralisch erhaben zu sein, führe dazu, konservative Werte schnell als rassistisch abzutun. Theoriegetrieben gehe man an der Realität vorbei, nur um neue Probleme zu schaffen. In diesem Zusammenhang stellte sie unter anderem Fehler der deutschen Migrationspolitik dar, die daraus resultieren würden, dass sich die Politik zum einen nicht mit den Problemen der Migranten auseinandersetze und zum anderen Minderheiten so viel Aufmerksamkeit geschenkt werde, dass die pragmatische Umsetzung einer erfolgreichen Integration nicht erfolgen könne.

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Das Deutsch-Ungarische Institut für Europäische Zusammenarbeit stellte für Professor Schröter ein mehrtägiges Besuchsprogramm mit zahlreichen Partnern des öffentlichen Lebens und Medienauftritten zusammen. Als Gast des Deutsch-Ungarischen Instituts wurde Professor Schröter vom Generaldirektor Dr. Zoltán Szalai und vom Präsidenten des Stiftungskuratoriums des MCC und Politischen Direktoren des Ministerpräsidenten Dr. Balázs Orbán empfangen. Sie gewann wertvolle Einblicke in die Arbeit des Deutsch-Ungarischen Instituts von Dr. Bence Bauer und lernte unsere Gastdozenten aus Deutschland (Visiting Fellows) kennen. Sie traf sich weiterhin mit Vertretern anderer wissenschaftlicher Institute am MCC (wie etwa des Instituts für Migrationsforschung)  und führte Gespräche mit dem Direktor der Abteilung für Kommunikation, Krisztián Erdei.

Auf dem Programm für Professor Schröter standen des Weiteren bilaterale Gespräche mit Vertretern der Konrad-Adenauer-Stiftung, der Hanns-Seidel-Stiftung und der Friedrich-Ebert-Stiftung, sowie mit dem Direktor des Instituts für Auswärtiges und Außenhandel, Márton Schőberl, der stellvertretenden Staatssekretärin für die Entwicklung europäischer Beziehungen, Krisztina Varjú, mit dem Direktor der Otto-von-Habsburg-Stiftung und dem Direktor des Instituts für Strategische Studien, Gergely Prőhle und dem Rektor der Nationalen Universität für den Öffentlichen Dienst, Prof. Dr. Gergely Deli.

Sie besuchte die deutschsprachige Andrássy Universität Budapest, wo sie Gespräche mit der Prorektorin für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs und Leiterin der Doktorschule, Prof. Dr. Ellen Bos sowie dem Leiter des Lehrstuhls für Diplomatie, Dr. Heinrich Kreft, führte.

Des Weiteren wurde Professor Schröter von der stellvertretenden Vorsitzenden der Landesverwaltung der Ungarndeutschen, Olívia Schubert, empfangen und stattete einen Besuch im ungarischen Parlament ab, bei dem sie vom ungarndeutschen Abgeordneten und Vorsitzenden des Nationalitätenausschusses des Parlaments, Emmerich Ritter MdNV empfangen und durch das historische Parlamentsgebäude geführt wurde.

Professor Schröter traf mit weiteren Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zusammen, wie etwa mit dem Direktor des Nézőpont Instituts, Dr. Ágoston Mráz, und dem Direktor des Zentrums für Grundrechte, Péter Törcsi und gab der ungarischen Presse zahlreiche Interviews, darunter für die Wochenzeitschrift Mandiner, die Tageszeitung Magyar Nemzet, die Tageszeitung Magyar Hírlap, das Magazin Friends of Hungary (Magyarország Barátai) und den Rundfunksender Kossuth Rádió.

Professor Schröter zeigte sich nach der Buchpräsentation und der darauffolgenden regen Podiumsdiskussion äußerst zufrieden und Professor Theisen schloss die rundum gelungene Veranstaltung treffend mit den Worten: „Sie haben uns einen schmerzhaften Abend bereitet, aber vielleicht war es notwendig, denn ohne Schmerzen können wir nicht lernen.“ Am Vorabend ihrer Abreise bekundete Professor Schröter ihre Begeisterung von ihrem Besuch in Ungarn und berichtete von den vielen intellektuell differenzierten Gesprächen, die sie in Budapest führen konnte.

Wir danken Professor Schröter für ihren Besuch beim MCC in Ungarn und freuen uns auf eine langfristige Partnerschaft und einen weiteren, uns allen bereichernden Dialog.

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Susanne Schröter, Prof. Dr., geb. 1957, studierte Ethnologie, Soziologie, Politikwissenschaften und Pädagogik an der Johannes Gutenberg Universität Mainz. Sie lehrte und forschte u.a. an der University of Chicago und der Yale University, wurde 2004 Inhaberin des Lehrstuhls für Südostasienkunde an der Universität Passau und 2008 auf die Professur für „Ethnologie kolonialer und postkolonialer Ordnungen“ und an die Goethe-Universität Frankfurt berufen. Dort war sie 11 Jahre lang Principal Investigator im Exzellenzcluster „Herausbildung normativer Ordnungen“ und leitet seit 2014 das „Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam“.