Von unmittelbaren Kampfhandlungen abgesehen bekommen die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union im Wesentlichen alle negativen Auswirkungen der in ihrer Nachbarschaft wütenden Kämpfe zu spüren. Seit dem Ausbruch des Krieges zwischen Russland und der Ukraine sind die Preise für Erdgas und Lebensmittel um ein Mehrfaches gestiegen. Die Strompreise liegen in den meisten europäischen Ländern knapp beim Zehnfachen des Preises vor zwei Jahren und der Anstieg der Lebensmittelpreise war in der Europäischen Union noch nie derart rasant wie in diesen Monaten. Nach Schätzungen der Europäischen Zentralbank kann das BIP der Eurozone durch den militärischen Konflikt um bis zu 1 Prozent schrumpfen. Den Schwerpunkt des vom Mathias Corvinus Collegium 2022 nunmehr zum zweiten Mal veranstalteten Budapest Summit bildeten unter Anderen die möglichen Antworten auf diese Herausforderungen. Akademiker, Forscher, Wirtschaftsteilnehmer, Experten internationaler Organisationen sind aus zahlreichen Ländern angereist, um die Folgen des Krieges zwischen Russland und der Ukraine zu diskutieren und Lösungsvorschläge für ein besseres Verständnis und ein erfolgreiches Management der aktuellen Krisensituation zu beschreiben.
Das Deutsch-Ungarische Institut des MCC war bei der Konferenz ebenfalls vertreten. Der Titel der vom Institut organisierten Podiumsdiskussion, „Mögliche Auswege aus der Krise“ brachte die Chance für einen produktiven Meinungsausrausch zum Ausdruck. Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion haben das Thema vor Allem in erster Linie aus der wirtschaftlichen Perspektive, mit dem Schwerpunkt der Rolle der Energieträger beleuchtet und sich auch darauf eingegangen, wie mit den gesellschaftlichen Folgen der Krise umgegangen werden soll. Im Mittelpunkt der Gespräche standen die Veränderungen durch die Krisensituation in Deutschland und die Beschreibung der von der neuen deutschen Bundesregierung bereits unternommenen Schritte sowohl aus der Perspektive der Unternehmen, als auch dem wissenschaftlichen Bereich und der Normalbürger. Außerdem sollten durch die Podiumsdiskussion Lösungsvorschläge beschrieben werden, die den Unternehmen und privaten Haushalten nicht nur in der diesjährigen Herbst- und Winterzeit, sondern auch langfristig den Umgang mit der Krisensituation ermöglichen sollen.
Die Teilnehmer der durch den Direktor des Deutsch-Ungarischen Institutes, Dr. Bence Bauer moderierten Podiumsdiskussion waren Dr. Thomas Narbeshuber, Vizepräsident der BASF für Mittel- und Südosteuropa, Prof. Dr. Fritz Söllner, Inhaber des Lehrstuhls für Finanzwissenschaft an der Technischen Universität Ilmenau und Dr. Marie-Theres Thiell, Geschäftsführerin von DialogUngarn und frühere Vorstandsvorsitzende der ELMŰ / ÉMÁSZ Hungary. Im Gesprächsverlauf betonte Frau Thiell, dass im vergangenen Jahr mit dem Ende der Amtszeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel eine äußerst lange Periode zu Ende gegangen sei. Die neue Epoche seit durch die Ampelkoalition angebrochen, die ihre Arbeit kaum mehr als zwei Monate nach der Bundestagswahl am 26. September aufgenommen hat. Frau Thiell wies darauf hin, dass es für die neue Koalition kein Leichtes war, die Umsetzung des Regierungsprogramms einzuleiten, weil kurz nach Beginn ihrer Amtszeit der Krieg zwischen Russland und der Ukraine ausgebrochen ist und die vorher formulierten und vertraglich niedergelegten Ziele von der Definition der Rolle der Bundesrepublik in diesem Krieg beseitige gefegt worden ist. Sie ergänzte, dass für den Umgang mit einer Krise Entscheidungsträger gefordert sind, die über echte Erfahrungen verfügen. Bei der neuen deutschen Bundesregierung war das nicht der Fall. Als brennendsten Punkt des Krisenmanagements hat sie den Mangel an Energieträgern betont, allerdings auch hinzugefügt, dass sie überzeugt sei, dass sämtliche Krisen und Notsituationen die Möglichkeit zur Veränderung in sich trügen und dass nach der Rezession Wachstum folge und dass es auch diesmal nicht anders kommen werde. Zur Frage der Kernkraftwerke betonte Frau Thiell, dass sie sie für mehr oder minder 3 Jahre als brauchbare Alternative vorhalten würde und während dieser Zeit ein zuverlässiges Energieversorgungssystem ausarbeiten würde, als deren Grundlage weiterentwickelte und verbundene Netzwerke dienen würden.
Prof. Söllner betonte, dass die beiden wichtigsten Gründe der Krise, die zueinander konvergierten, die Politik der Europäischen Zentralbank sei, die zu einer generellen Inflation in Europa geführt habe und außerdem die seit Längerem zu beobachtende Krise in der Energieversorgung sei. Außerdem ergänzte er, dass der Weg aus der Krise vor Allem in der Nutzung alternativer Energieträger als Ersatz für Erdgas sei, damit sich die Europäische Union in der Sicherstellung der Energieversorgung nicht auf Russland verlassen müsse. Seiner Meinung nach müsse dafür die Nutzung von kohle- und Kernkraftwerken vorangetrieben werden. Prof. Söllner betonte, dass es für ihn unverständlich sei, weshalb sich die neue deutsche Bundesregierung in der aktuellen Situation überhaupt Gedanken über die Abschaltung von Kernkraftwerken mache, denn es läge auf der Hand, dass diese benötigt würden. Im Zusammenhang mit der Nutzung erneuerbarer Energieträger erklärte er, dass die aus einem Mangel an Energieträgern entstandene Krise allein auf ideologischer Basis nicht zu bewältigen sei. Seines Erachtens sei die Problematik komplett neu zu überdenken und es sei nach der Kosten-Nutzen-Methode zu handeln. Er erwähnte, dass die echte Lösung in der Nutzung der Fusionsenergie läge, allerdings scheine dies aus finanziellen Gründen nicht umsetzbar zu sein.
Narbeshuber betonte, eine sehr positive Einstellung zum Krisenmanagement zu haben, denn während seiner Karriere von 30 Jahren habe er 7 ernsthafte Wirtschaftskrise erlebt. Allerdings ergänzte er, dass die Europäische Union gemeinsam stark bleiben müsse, wenn sie über die besondere Krisensituation hinwegkommen möchte. Er betonte, dass wir in der Coronapandemie bedingten Krise hätten feststellen können, dass wir einander lokal Hilfestellung zu leisten hätten. Außerdem ergänzte er, dass die Nachwirkungen der COVID-19-Pandemie ein gutes Beispiel sei, in dessen Folge etliche internationale Unternehmen, wie beispielsweise die Luftfahrtgesellschaften mit einem erheblichen Personalmangel zu kämpfen hätten. Über die durch den Mangel an Energieträgern verursachten Krise erläuterte er, dass diese bereits vor Ausbruch des Krieges eingetreten sei, denn damals schon habe Energie in der Bundesrepublik wesentlich mehr gekostet, als in Ungarn. Er betonte, dass es sich lohne, in erneuerbare Energien zu investieren und dass die Etablierung einer nachhaltigen Wirtschaft keine Utopie sei, allerdings sei für die Umsetzung die Europäische Union alleine nicht ausreichend, denn man müsse Netzwerke aktivieren und zur Bewahrung des Erfolgs von Europa zusammenarbeiten. Darüber hinaus erwähnte er ebenfalls, dass erneuerbare Energieträger derzeit im verschwindend geringen Maße geeignet seien, den Energiebedarf der Welt zu decken, allerdings gehöre langfristig diesen die Zukunft. Andererseits sei seiner Ansicht nach die Kernkraft nicht nachhaltig zu handhaben, daher dürfe sie lediglich als eine Übergangslösung betrachtet werden.
Im Zuge der Podiumsdiskussion wurde auch die Krise in der deutschen Gesellschaft angesprochen. Frau Thiell und Prof. Söllner habe ein Lagebild zusammen gefasst, dass die Menschen sich fürchteten, allerdings mit den tatsächlich negativen Auswirkungen noch nicht konfrontiert gewesen seien, weil die jährlichen Abrechnungen für die Verbraucher noch nicht gestellt worden seien. Die Oberschicht der Bevölkerung – die sich das hat leisten können – habe das eigene Heizungssystem umgestellt. Die unterste Schicht der Gesellschaft, die auch für die Deckung der Gemeinkosten des Haushaltes staatliche Fördermittel im erheblichen Umfang erhält, nehme den Winter nicht als ungewiss wahr. Diejenige Schicht der Bevölkerung jedoch, die sich weder einen Heizungsumbau leisten könne, noch staatliche Zuschüsse erhalte, mit einer hochgradigen Ungewissheit konfrontiert werde. Frau Thiell betonte an dieser Stelle, dass man sich darüber im Klaren sein müsse, dass die Versorgungssicherheit nicht selbstverständlich sei. Prof. Söllner betonte, dass viele dafür protestierten und demonstrierten, damit es zu einer Wende in der Energiepolitik komme, allerdings gebe es keinen einstimmigen Standpunkt zu dieser Frage. Ergänzend fügte er hinzu, dass es die Politik nicht erlauben dürfe, dass das Land nach der Reduzierung des Gasverbrauchs soweit komme, Ressourcen aus Deutschland und anderen Ländern Europas umzuschichten. Herr Narbeshuber betonte, dass die von Prof. Söllner erwähnten Prozesse des Industrieabbaus gestoppt werden müssten und erläuterte, die einzige Lösung darin zu erkennen, eine Kriegswirtschaft einzuführen und Rohstoffreserven aufzufüllen, um die gemeinsame Importabhängigkeit auf europäischer Ebene zu reduzieren.
Nach der Podiumsdiskussion ist ein lebhafter Austausch zwischen dem Publikum und den Referenten entstanden. Bei Fragen und Antworten sind mehr als 35 Fragen eingegangen, wobei diese teilweise wegen der eingeschränkten Zeit nicht beantwortet werden konnten. Somit konnten die Teilnehmer zum Abschluss der Podiumsdiskussion offen gebliebene Fragen mit den eingeladenen Referenten auch in der Kaffeepause diskutieren.