Übersetzung aus der ungarischen Wochenzeitschrift Mandiner, Jahrgang IV. Ausgabe 05., S. 3.
„Deutschland hat sich kulturell unumkehrbar verändert und das geplante Zuwanderungs- und Staatsbürgerschaftsgesetz der neuen Regierung in Berlin wird diesen Prozess nur beschleunigen“ – äußerte sich neulich Boris Kálnoky, Leiter der Medienschule am MCC, gegenüber dem Portal Mandiner.hu. Wenn man die Worte von Kálnoky liest, der über dreißig Jahre lang als Journalist von Die Welt gearbeitet hat, überkam mich ein zwiespältiges Gefühl: unser Kollege hat recht, weil sich Deutschland in der Tat grundlegend verändert, wenn allen Zuwanderern, die während der Migrationskrise ins Land gekommen sind, automatisch die Staatsangehörigkeit gewährt wird. Wenn man jedoch die Geschichte der Deutschen in einer die Jahrhunderte überspannenden Perspektive betrachtet, scheint dieser weitere extreme Schlenker ein durchaus logischer Schritt zu sein. Man könnte auch sagen, dieser folgt direkt aus der deutschen Geschichte.
Um die Deutschen zu verstehen, reicht es nicht, die Veränderungen zu deuten, die sich an der Oberfläche abspielen. Die deutsche Geschichte wurde jederzeit von zwei Melodien geprägt. Eines ist das laute, aus einem Extrem ins Andere schlagende, windbeutelhafte Gedudel. Dieses Volk war in der Lage, innerhalb eines knappen Jahrhunderts durch die niedersten Ecken von Untiefen jeglicher Couleur zu waten. In der Tiefe wird der Rhythmus einer wesentlich einheitlicheren, ins Unisono gehenden Melodie getrommelt, die mit den Worten Nietzsches nichts anderes ist als der Wille zur Macht. Die allerseits hörbare Kakofonie der Oberfläche wird durch diesen in der Tiefe getrommelten Rhythmus geordnet: das ergibt den Sinn dieses Heidenlärms der Jahrzehnte, der Regime und der Ideologien.
Daher mag es sein, dass Kálnoky gleichzeitig richtig und – aus einer anderen Perspektive – falsch liegt, wenn er über die unumkehrbare Veränderung der Kultur Deutschlands spricht. Dieses Volk kann sich aus jeder Position zurückziehen, denn es hat innerhalb eines Jahrhunderts die monarchische Autokratie, den Nationalsozialismus, den Kommunismus, den giftgrünen Terror und die Anarchie der 68-er wie auch den bis zur Perfektion entwickelten Wahn des neoliberalen Woke erlebt. Und all das hat das deutsche Volk aus einem einzigen Grund getan: es hat seine Gegenwart in den Dienst der Aufrechterhaltung der jeweiligen globalen Macht gestellt, und zwar mit der für Deutsche gebührenden Perfektion und der völligen Anpassung an die Tendenzen des jeweiligen Zeitgeistes. Das gilt genauso für längst vergangene Zeiten: zur Glanzzeit der Monarchien war das Deutschtum in etliche Hundert winzige monarchistische Staaten geteilt, während im 19. Jahrhundert mit dem Aufstieg des Nationsgedankens und des Nationalstaates es mehr als alle anderen die Herstellung einer Einheit anstrebte und zum Paradebeispiel der nationalen Idee wurde. Bemerkenswert ist, dass just in der Nähe der Hauptstadt des Erzrivalen Frankreich, im Spiegelsaal von Versailles, 1871 die Entstehung des einheitlichen Nationalstaates verkündet worden ist.
Die Auslobung der Willkommenskultur im Jahre 2015 gab auch den neuen Gesängen neuer Zeiten eine Form. Mit diesem einfachen Wort wurde die Ideologie der Zuwanderung geschaffen, wobei es selbst über den Begriff der Vielfalt hinausgeht. Der Gutmensch, das heißt das Gute im Menschen, wurde nunmehr ohne jegliche ironische Obertöne zu einer zentralen Politik der Deutschen. Erneut ist das Dröhnen aus der Tiefe zu hören, die Trommeln des deutschen Willens zur Macht, die erneut den Rhythmus für einen ganzen Kontinent vortrommeln. Deutschland unterliegt ungeheuren Veränderungen, jedoch macht es keinen wesentlichen Unterschied, dass sich das Land dabei wieder einmal als Spitzenreiter dem Zeitgeist anpasst und sich nicht nur anpasst, sondern sogar eigene Innovationen beisteuert, um bestehende Machtpositionen bestmöglich zu bestärken. In Anbetracht der deutschen Geschichte ist es eher die Regel als die Ausnahme, dass das Unterpfand für den Erfolg Deutschlands dieser eminente Zwang zur Übererfüllung und Konformität – und wegen der überzogenen Bestrebungen zugleich die Ursache für seine unsägliche Erfolglosigkeit ist.