Einige Tage nach den ungarischen Kommunal- und Europawahlen vom 9. Juni 2024 steht das endgültige Wahlergebnis fest. Die noch in der Wahlnacht veröffentlichten Resultate sind immer zunächst nur als vorläufig anzusehen, da die an den Auslandsvertretungen abgegebenen Stimmen sowie die Stimmen der Auslandsungarn erst einige Tage nach der Wahl eingehen und erst dann ausgezählt werden können.[1]

Europawahlen

Das Endergebnis der Europawahlen weicht von den zuvor publizierten Ergebnissen nur geringfügig ab. Die Wahlbeteiligung lag bei 59,46%. Im Inland beteiligten sich 4.562.447 und in den Auslandsvertretungen 18.661 Personen an der Wahl, 126.801 per Briefwahl. Die Regierungsparteien Fidesz-KDNP erhielten 2.048.211 Stimmen (44,82%), die Tisza-Partei 1.352.699 Stimmen (29,60%), DK-MSZP-Grüne 367.162 Stimmen (8,03%) und Mi hazánk 306.404 Stimmen (6,71%). Die Mandatsverteilung im Europäischen Parlament gestaltet sich wie folgt: Fidesz-KDNP 11 Abgeordnete, Tisza sieben, DK-MSZP-Grüne zwei und Mi hazánk ein Abgeordneter. Bei den Briefwählern im Ausland reüssierte Fidesz-KDNP mit 90,03% (53.125 Stimmen), Tisza erreichte 4,42% (2.610), Mi hazánk 1,97% (1.163), alle anderen Parteien waren weit abgeschlagen. Anders als bei den Wahlen zur Ungarischen Nationalversammlung werden die in den Konsulaten abgegeben Stimmen gemeinsam gezählt: Tisza 50,82% (9.362 Stimmen), Fidesz-KDNP 18,86% (3.475), Momemtum 12,08% (2.226), Satirepartei Hund mit den zwei Schwänzen 9,65% (1.778), andere unter 5%. Aufgrund der wenigen Wählerstimmen sind diese Zahlen nur eingeschränkt aussagekräftig.

Kommunalwahlen

Bei den Kommunalwahlen zeichnete sich bei der Wahl des Oberbürgermeisters in Budapest nicht nur ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem Amtsinhaber Gergely Szilveszter Karácsony und dem (zu einem späteren Zeitpunkt von Fidesz unterstützten) Herausforderer Dávid Vitézy ab, sondern auch eine Auseinandersetzung um die ungültigen Stimmen. Nach der offiziellen Auszählung am Wahlsonntag gewann Karácsony mit 324 Stimmen. 24.592 Stimmen wurden für ungültig erklärt. Vor dem Hintergrund des knappen Wahlergebnisses und des vorangegangenen Rückzuges der Fidesz-Kandidatin konnte der Herausforderer durch eine Eingabe beim Wahlamt eine Neuauszählung der ungültigen Stimmen durchsetzen. Er argumentierte, dass aufgrund der uneinheitlichen Praxis bei der Unkenntlichmachung der zurückgetretenen Kandidatin auf den Stimmzetteln möglicherweise viele Stimmen zu Unrecht als ungültig bewertet wurden. In Budapest sind die Stadtbezirke für die Durchführung der Wahlen zuständig. In den Medien wird gelegentlich der Vorwurf erhoben, dass die parteipolitische Orientierung des jeweiligen Bürgermeisters durchaus einen Einfluss auf die Abwicklung der Wahlen habe.

In einigen Stadtbezirken sei die zurückgetretene Kandidatin von Fidesz, Alexandra Szentkirályi, unmissverständlich geschwärzt worden, in anderen Bezirken, wie beispielsweise im (von der Demokratischen Koalition geführten) 4. und im 7. Stadtbezirk, wäre die zurückgetretene Kandidatin nur mit einem hauchdünnen Kugelschreiber durchgestrichen worden. Die Wahllokale seien zudem vom Budapester Wahlamt zu spät darauf hingewiesen worden, dass die Stimmzettel, auf denen ein Kreuz sowohl bei einem ausgeschiedenen Kandidaten als auch bei einem anderen Kandidaten stünde, sehr wohl gültig seien. Trotzdem hätten viele Wahlvorstände solche Stimmzettel für ungültig erklärt. Unstrittig war nur, dass die Stimmzettel, die nur ein Kreuz für die zurückgetretene Kandidatin aufzeigten, auf jeden Fall ungültig seien. Hiervon gab es beispielsweise relativ viele in Wahllokalen, zu denen etwa ein Altersheim gehörte. Viele Wähler hätten, nachdem sie fälschlicherweise für Szentkirályi gestimmt hätten, den Fehler bemerkt und noch ein Kreuz bei einem anderen Kandidaten gemacht. Diese Stimmzettel seinen gültig, so die Argumentation von Dávid Vitézy.

Die am Freitag nach der Wahl erfolgte Neuauszählung ergab, dass die Einwände von Vitézy durchaus ihre Berechtigung hatten. Von den 24.592 ursprünglich für ungültig erklärten Stimmen waren in der Tat ganze 560 nach der abermaligen Auszählung doch gültig. Hiervon entfielen 395 auf Vitézy, 112 auf Karácsony und 53 auf den dritten Kandidaten Grundtner. Damit gewann Karácsony mit nur 41 Stimmen, bei 371.578 zu 371.537 Stimmen, d.h. 47,51% zu 47,50%. Die Neuauszählung veränderte auch nicht das sehr knappe Endergebnis, doch dieser Vorgang zeigte, dass es in einigen Wahllokalen beträchtliche Irritationen bei der Bewertung der ungültigen Stimmen gab. Unabhängig davon reichte der Wahlgewinner bei der Kurie, dem obersten Gerichtshof, eine Wahlanfechtung an. Der Amtsinhaber möchte auf jeden Fall eine Wiederholung der OB-Wahl erreichen. Er argumentiert, dass bei dem Transport der wieder auszuzählenden Stimmzettel nicht ausgeschlossen werden könnte, dass unbefugte Dritte Zugriff auf die Stimmzettel gehabt hätten. Zuvor war ein Rechtshilfeersuchen von Dávid Vitézy abgelehnt worden, das sich auf eine OB-Neuwahl im 4. und 7. Stadtbezirk bezog. Er argumentierte, dass ein fast schon unkenntliches Durchstreichen von Szentkirályi als Irreführung des Wählers zu werten sei. Das Wahlamt lehnte seinen Antrag aber ab.

Der Oberbürgermeister von Budapest verfügt als direkt gewählter Amtsträger über eine hohe demokratische Legitimation. Karácsony erreicht mit diesen 371.578 Stimmen in absoluten Zahlen das zweitbeste Ergebnis seit der Wende[2], in relativen Zahlen das fünftbeste Ergebnis.[3] Jedoch wird dieses eigentlich gute Wahlresultat durch seine hauchdünne Mehrheit von 41 Stimmen deutlich abgewertet. Außerdem verfügt er im Budapester Gesamtstadtrat über keine Mehrheit. Damit muss er sich der schwierigen Mehrheitsfindungen von Fall zu Fall stellen. Politisch gesehen hat er seine Entscheidungsmacht eingebüßt, er ist eine „lame duck“. Ein möglicher Befreiungsschlag durch einen Rücktritt und Neuwahlen ist für ihn auch keine richtige Option, da die Parteien, die Karácsony nahestehen, erheblich an Wählerunterstützung verloren haben. Darüber hinaus können bei einer Neuwahl auch neue Kandidaten antreten, beispielsweise von der Tisza-Partei. Diese würde bekanntermaßen Oppositionsstimmen abziehen, so dass Gergely Szilveszter Karácsony nach Einschätzung politischer Beobachter kaum Chancen gegen Dávid Vitézy eingeräumt werden.

 

[1] Ausführlich zum Wahlsystem: Das ungarische Wahlsystem. Faktenwissen Ungarn, Deutsch-Ungarisches Institut für Europäische Zusammenarbeit, vgl. https://magyarnemetintezet.hu/documents/doc/PRINT_22-02_Das%20ungarische%20Wahlsystem.pdf

[2] Gábor Demszky erhielt 1998 mit 373.969 Stimmen nur 2.391 mehr Stimmen als Gergely Szilveszter Karácsony 2024.

[3] Nach Gábor Demszky 1998 mit 58,22%, István Tarlós 2010 mit 53,37%, Gergely Szilveszter Karácsony 2019 mit 50,86%, István Tarlós 2014 mit 49,06%.