Die deutsch-ungarischen Beziehungen gründen tief und sind vielgestaltig. Davon zeugt auch ein Meilenstein in der Geschichte der beiden Länder, welcher sich am 6. Februar 2022 zum dreißigsten Mal jährt: Die Unterzeichnung des „Vertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Ungarn über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa“.
Vor einer Belastungsprobe
Die deutsch-ungarischen Beziehungen gründen tief und sind vielgestaltig. Davon zeugt auch ein Meilenstein in der Geschichte der beiden Länder, welcher sich am 06. Februar 2022 zum dreißigsten Mal jährt: Die Unterzeichnung des „Vertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Ungarn über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa“.
Damit wurden nach der Wende die zwischenstaatlichen Bande neu justiert. Ausgebaut wurde das gute Verhältnis außerdem durch das 1994 unterzeichnete Kulturabkommen sowie einem dichten Netz von ca. 400 Städtepartnerschaften und -kooperationen. Doch gerade seit den 2010er Jahren scheinen sich die beiden eng verbundenen Länder Schritt für Schritt voneinander zu entfernen. Statt miteinander zu sprechen und gemeinsame Lösungsansätze zu diskutieren, verhärteten sich die Fronten zunehmend. Nach der Wahlniederlage der Christdemokraten im vergangenen Jahr muss nun eine neue Regierung in Berlin unter Beweis stellen, dass sie den deutsch-ungarischen Diskurs auch abseits ideologiegeladener Positionen führen kann.
Ein dichtes Netz von Interdependenzen
Zwischen Deutschland und Ungarn besteht seit jeher auf politischem, wirtschaftlichem, wissenschaftlichem und kulturellem Gebiet ein sich dynamisch entwickelndes, dichtes Netz von Interdependenzen. Trotz des Austritts der Regierungspartei Fidesz aus der Europäischen Volkspartei (EVP) im März 2021 bestehen unverändert gute Beziehungen auf der Arbeitsebene. Davon zeugen mitunter die engen wirtschaftlichen sowie kulturellen Verflechtungen der beiden Länder, welche keineswegs unter dem Austritt gelitten haben.
Für Ungarn ist Deutschland der wichtigste Wirtschaftspartner. Umgekehrt ist auch Ungarn in vielen Bereichen wichtiger Markt, Beschaffungsquelle und Produktionsstandort für deutsche Unternehmen. So belief sich der prozentuale Anteil Deutschlands an ungarischen Ausfuhren im Jahr 2020 auf 27,9% und an Einfuhren auf 24,7%. China oder Russland hingegen sind in der ungarischen Handelsbilanz 2020 mit niedrigen einstelligen Prozentsätzen eher außen vor. Jedoch kommt auch die akademische Komponente nicht zu kurz. So zeugt nicht nur die 2001 von Bayern, Baden-Württemberg, Österreich und Ungarn gegründete deutschsprachige Andrássy Universität in Budapest von der exzellenten Zusammenarbeit miteinander, sondern auch zahlreiche gemeinsame Kooperationen auf dem Gebiet der Wissenschaft.
Bröckelndes Miteinander?
Doch gerade dieses „Miteinander“, welches die deutsch-ungarischen Beziehungen lange Zeit ausgezeichnet hat, scheint in jüngster Vergangenheit zu bröckeln. Während Bundeskanzler Helmut Kohl immer darauf bedacht gewesen war, mit seinen diplomatischen Partnern „auf Augenhöhe“ zu verhandeln, scheint das jetzt von den Grünen geführte Außenministerium eine andere Strategie zu verfolgen.
Die neue deutsche Außenministerin Annalena Baerbock beispielsweise sieht sich als Botschafterin der offenen Gesellschaft und hat bereits im Vorfeld einen kritischen Kurs gegenüber Ungarn angekündigt. Schlussendlich ist es jedoch der neue Bundeskanzler Olaf Scholz, der in Fachkreisen als ein sehr gemäßigter, vorsichtiger, besonnener und moderater Politiker gilt, der in Sachen europäische Außenpolitik das letzte Wort hat. Insbesondere mit Blick auf die ausgezeichneten wirtschaftlichen Beziehungen, welche Deutschland und Ungarn verbinden, ist damit zu rechnen, dass das Kanzleramt sich gegen den Weg der Konfrontation entscheidet.
Was verheißt der Koalitionsvertrag?
Die scharfe Rhetorik vonseiten des deutschen Außenministeriums wurde in Ungarn mitnichten freundlich aufgenommen, jedoch war dies nur die Spitze des Eisbergs. Wirft man einen gewissenhaften Blick in den Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung, kommt man nicht umhin zu bemerken, dass sich die neue Regierung in Berlin gerne in innerstaatliche Souveränitätsbereiche einmischen möchte.
Darunter fällt unter anderem der Vorstoß in der Familienpolitik mit der grundsätzlichen Neudefinition des Familienbegriffs. Obgleich die Reform des Familienrechts eine innere Angelegenheit darstellt, sehen die neuen Regelungen insbesondere auf EU-Ebene weitreichende Änderungen vor. Dies könnte in Zukunft auf EU-Ebene und auch auf dem bilateralen Parkett für Streitigkeiten sorgen, da nicht nur Ungarn einem familienpolitischen Eingriff aus Berlin bzw. Brüssel gelinde gesagt kritisch gegenübersteht.
Das Zerwürfnis auf politischer Ebene beschränkt sich jedoch keineswegs nur auf gesellschaftspolitische Themen. Nimmt man die Bestrebungen der Ampel-Koalition hinsichtlich der Energiewende unter die Lupe, werden deutlich abweichende Ansätze zur Bewältigung der klimatischen Probleme deutlich. Dass die globale Erderwärmung zu den größten Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft gehört, darin sind sich beide Regierungen einig. Der Lösungsansatz könnte jedoch unterschiedlicher nicht sein.
Während Ungarn ein pragmatisches Konzept mittels (relativ) sauberer Atomenergie verfolgt, ist die Klimapolitik Deutschlands zusehends ideologisch aufgeladen. Deutschland will nicht nur seine bestehenden Kernkraftwerke im nächsten Jahr abschalten, sondern Baerbock sieht auch die Verwirklichung einer atomenergiefreien EU als eine ihrer obersten Prioritäten an. Dies könnte für zusätzlichen Zündstoff auf europäischer Ebene sorgen, da es zwischen Deutschland, Frankreich und anderen europäischen Partnern in Fragen der Atomenergie deutliche Meinungsverschiedenheiten gibt. Bei ihrem letzten Treffen in Budapest sprachen sich Orbán und Macron jüngst deutlich für die Atomkraft aus, nicht zuletzt mit Blick auf die Souveränität der EU.
Schlüsselereignis Parlamentswahl
Während das politische Jahr 2021 von der Bundestagswahl dominiert wurde, steht mit der ungarischen Parlamentswahl im April 2022 eine weitere wichtige politische Entscheidung an. Setzt sich die bestehende Fidesz-KDNP-Koalition durch, so kann die Regierung um Ministerpräsident Viktor Orbán gestärkt auftreten. Das ungarische Oppositionsbündnis, welches Parteien der politischen Ränder von ganz rechts bis ganz links umfasst, hat sich bisher erst zögerlich zu Themen wie Energie- bzw. Wirtschaftspolitik geäußert.
Laut dem Konjunkturbericht 2021 der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer sind in Ungarn mittlerweile mehr als 3000 Unternehmen mit deutschem Anteil ansässig. Sie beschäftigen über 300.000 Mitarbeiter und sind für einen erheblichen Teil der Ausfuhren verantwortlich. Laut diesem Bericht ist das Geschäftsklima in Ungarn besser als der regionale Durchschnitt, zudem wird die Region als Lieferant immer attraktiver. Demnach wäre es auch im Sinne der deutschen Wirtschaft, wenn politische Stabilität und die daraus resultierende Planungssicherheit weiter gegeben wäre.
Schlechter werdendes Ungarn-Bild in Deutschland
Neben den wirtschaftlich engen Beziehungen spielt zusätzlich auch die gesellschaftliche Wahrnehmung untereinander eine wichtige Rolle. Das Deutsch-Ungarische Barometer veröffentlicht hierzu jährlich eine Studie zum deutsch-ungarischen Meinungsbild. Dabei lässt sich auch 2021 beobachten, dass in der ungarischen Gesellschaft eine positivere Haltung gegenüber Deutschland herrscht (68 Prozent der Ungarn haben eine positive Meinung über Deutschland), während sich in Deutschland ein etwas anderes Bild abzeichnet (54% der Deutschen haben eine positive Meinung über Ungarn). Dieser divergierende Trend ruft insbesondere die Bürgergesellschaft auf den Plan, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, den politischen sowie gesellschaftlichen Diskurs zwischen den beiden Ländern zu fördern. In dieser Hinsicht leistet das Deutsch-Ungarische Institut für Europäische Zusammenarbeit einen herausragenden Beitrag. Das Institut soll ein Forum für den akademischen, wissenschaftlichen und politischen Dialog zwischen Deutschland und Ungarn bieten und Entscheidungsträger wie auch interessiertes Fachpublikum beider Länder mit Themen, Debatten, Prozessen und Denkmustern des jeweils anderen Landes bekanntmachen.
Letztlich liegt es aber zuvorderst am politischen Willen beider Regierungen, bestehende Streitigkeiten mit Argumenten, statt mit vermeintlich moralischen Wahrheiten auszutragen sowie zukünftige Probleme gemeinsam zu bewältigen. Dieser Ansicht will sich der vorliegende Beitrag anschließen, zeugt doch das 30. Jubiläum des deutsch-ungarischen Freundschaftsvertrags von der lebendigen Verbindung, welche beide Länder eint.