Novelle des ungarischen Kinderschutzgesetzes sorgt für Streit in Europa
Genau zum Gruppenspiel der Fußball Europameisterschaft Deutschland gegen Ungarn stand das Gastland wieder einmal im Kreuzfeuer internationaler Kritik. Diesmal ging es um eine Verschärfung der rechtlichen Grundlagen zum Schutz der Kinder. Die ungarische Gesetzesänderung sei LGBTQ feindlich, so der schwerwiegende Einwand. Daran entzündete sich unglaublich schnell und mit voller Wucht die Kritik aus Europa. Nach einem Stadtratsbeschluss der bayerischen Landeshauptstadt sollte das Fußballstadion in Regenbogenfarben erstrahlen, um gegen die Entscheidung des ungarischen Parlaments zu protestieren. Aus dem „bunten“ Stadion wurde jedoch nichts, da die UEFA sich gegen diese politische Stellungnahme aussprach. Die ungarischen Nationalspieler mussten dann das Spiel in einer mit Emotionen aufgewühlten Atmosphäre bestreiten. Ein Zuschauer lief während des Abspielens der ungarischen Nationalhymne mit einer Regenbogenfahne vor die ungarischen Spieler. Gewinner gab es an dem kurzweiligen Fußballabend nicht, aber einen Verlierer: die Gastfreundschaft.
Aber was war eigentlich vorgefallen? Daten und Fakten…
Am 15. Juni 2021 verabschiedete die Ungarische Nationalversammlung mit 157 Stimmen (bei einer Gegenstimme) das Gesetz Nr. T/16365 über das strengere Auftreten gegen pädophile Straftäter sowie über die Novelle einzelner Gesetze zum Schutz von Kindern. Dem Entwurf stimmten insgesamt vier Parteien, unter ihnen die zwei Regierungsparteien, sowie der Abgeordnete der ungarndeutschen Minderheit zu. Die vier anderen Parteien nahmen an der Abstimmung nicht teil.
Das Gesetz ändert insgesamt acht verschiedene Einzelgesetze wie Kinderschutzgesetz, Werbegesetz, Strafregistergesetz, Mediengesetz, Familienschutzgesetz, Erziehungsgesetz, Arbeitsgesetz und schließlich das Ordnungswidrigkeitengesetz. Im Mittelpunkt der Modifikationen steht der Schutz von Kindern und die Stärkung der elterlichen Rechte, insbesondere hinsichtlich der Sexualaufklärung. Dabei soll der „Frühsexualisierung“ ein Riegel vorgeschoben werden. Ferner sollen Eltern die Möglichkeiten zur Einsicht in ein Strafregister von Pädophilen bekommen. Der Besitz von Kinderpornografie wird strenger als bisher geahndet. Mögliche Berufsverbote von verurteilten pädophilen Straftätern wurden weiter gefasst. Zukünftig darf in der Schule das Fach Sexualkunde und -aufklärung nur von zugelassenen Personen unterrichtet werden.
Das Gesetz dient ausschließlich dem Schutz der Minderjährigen: „Zur Sicherstellung der in diesem Gesetz gefassten Ziele und der Rechte von Kindern ist es verboten, Personen unter 18 Jahren pornografische, sowie Inhalte zugänglich zu machen, die Sexualität als Selbstzweck darstellen, beziehungsweise die Abweichung von dem Geschlecht bei der Geburt entsprechenden Identität, die Umwandlung des Geschlechts, sowie Homosexualität darstellen und bewerben.“ Andere Personen sind also keineswegs direkt betroffen.
Gesetzesbegründung
In der Gesetzesbegründung wird argumentiert, dass der Staat verpflichtet sei, die „körperliche, geistige und moralische Entwicklung von Kindern“ zu gewährleisten. Es sei erforderlich, in der „Praxis anwendbare, greifbare Regeln aufzustellen, über die der Schutz der genannten Werte realisiert werden kann. Es ist einsehbar, dass bestimmte Inhalte im Interesse ihrer gesunden seelischen und geistigen Entwicklung zu einem dem Alter entsprechenden Zeitpunkt den Kindern vermittelt werden sollten. Es gibt nämlich solche Inhalte, die von den Kindern – unter einem bestimmten Alter – missverstanden werden können, beziehungsweise die sich schädlich auf ihre Entwicklung im jeweiligen Alter auswirken können oder das Kind einfach nichts damit anfangen kann, daher wird das in der Entwicklung befindliche moralische Wertesystem oder just das Bild über sich selbst und die Welt durcheinandergebracht.“
Kritik im In- und Ausland
Unmittelbar nach der Verabschiedung des schließlich am 24. Juni 2021 in Kraft getretenen Gesetzeswerkes wurden Stimmen laut, das damit der Schutz vor Pädophilie und Homosexualität vermengt würde. Anlässlich des am selben Tag in Brüssel stattfindenden Europäischen Rats erhoben Vertreter vor allem der Beneluxländer schwere Vorwürfe gegen Ungarn, zuvor stimmten 13 Mitglieder des Rates der Europaminister dafür, dass die Europäische Kommission rechtlich gegen Ungarn tätig werden solle. Zu diesen 13 Ländern gehörten Deutschland, Frankreich, Spanien, Irland, die drei Beneluxländer sowie die sechs nordischen und baltischen Staaten. Laut Medienberichten sollen Slowenien, Polen, Bulgarien und die Slowakei für die Position der Ungarn aufgetreten sein.
Die ungarische Justizministerin Judit Varga, selbst Mutter von drei Söhnen, rechtfertigte am Freitag vergangener Woche die Initiative der ungarischen Regierung: „Der Schwerpunkt des neuen Gesetzes liegt darin, die Rechte der Eltern zu gewährleisten und Minderjährige vor dem Zugang zu Inhalten zu schützen, welche den Erziehungsgrundsätzen ihrer Eltern zuwiderlaufen, die diese ausgewählt haben, ihren Kindern beizubringen, bis sie selbst erwachsen werden. Die Regelungen schließen keinerlei schulische oder anderweitig organisierte Aktivitäten für Schüler zur Sexualkultur, zum sexuellen Verhalten, der sexuellen Entwicklung oder Orientierung aus – solange sie nicht für derartige Themen werben oder diese fördern“. Ferner erklärte sie, dass die höchst sensiblen Fragen zur Sexualität nur von qualifizierten Experten und in einer dem jeweiligen Alter angepassten Form unterrichtet werden sollten. Die Eltern und Erziehungsberechtigten müssten durch eine entsprechend qualifizierte Anleitung und Orientierungshilfen unterstützt werden, so die Ministerin.
Traditionelle Rolle der Familie als Leitbild – Toleranz gegenüber vielfältigen Lebensentwürfe
Auch in Ungarn gibt es eine sehr aktive homosexuelle Gemeinschaft, deren Rechte durch das ungarische Grundgesetz garantiert und geschützt werden. So ist es seit Jahren möglich, eine eingetragene Lebenspartnerschaft einzugehen. Hiervon machen auch homosexuelle Paare immer wieder Gebrauch, wenn auch nicht in einem Umfang wie in Westeuropa. Die ungarische Gesellschaft ist zwar im Allgemeinen tolerant gegenüber den unterschiedlichen Lebensentwürfen, dennoch dürfte es in Ungarn nach dem jetzigen Stand der Dinge eher unwahrscheinlich sein, dass Geistliche die Trauung von homosexuellen Paaren vornehmen würden.
Die Toleranz in der ungarischen Gesellschaft geht aber nicht so weit, dass es eine Akzeptanz dafür gebe, dass sexuelle Minderheiten ihre Orientierungen oder Verhaltensweisen den Menschen aufdrängen oder offensiv ihre Diversität in einem unverhältnismäßigen Umfang einfordern könnten. Eine grundsätzlich freiheitliche Einstellung bei gleichzeitiger Wertschätzung der eigenen traditionellen Werte sind den Ungarn besonders wichtig. Der Erziehung und dem Schutz der Kinder kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. In diesem Sinne erklärte die ungarische Regierung, dass über die Unterrichtung und Erziehung der ungarischen Kinder die Ungarn entscheiden sollten, genauso wie die Deutschen für die Ausbildung ihrer Kinder verantwortlich seien.
Vor diesem Hintergrund hat der ungarische Staat umfangreiche Maßnahmen zur Förderung von Kindern umgesetzt, über kostenlose Sommerfreizeiten und Kinderprogrammen bis zu quasi gebührenfreien Krippen- und Kindergartenplätzen. Wer drei Kinder hat, zahlt effektiv keine Einkommenssteuer, das Elterngeld ist für eine Zeit höher als das zuvor bezogene Gehalt und Mütter dürfen das Elterngeld nach der Rückkehr in den Beruf neben ihrem Gehalt im vollen Umfang weiter in Anspruch nehmen. Darüber hinaus werden überall in Ungarn hunderte Spielplätze gebaut oder erneuert, im Budapester Stadtpark eröffnete im Herbst 2019 einer der größten Spielplätze Europas. All dies sind aber alles nur kleine Steine eines Mosaiks einer sehr erfolgreichen Familienpolitik: die Geburtenrate ist von 1,23 im Jahr 2011 – auf 1,56 im Jahr 2020 gestiegen. Zugleich erreichte die Zahl der Scheidungen und Abtreibungen historische Tiefststände, während die der Eheschließungen zunahm.
Menschen und Politik
Unabhängig von der Parteizugehörigkeit stehen die meisten Ungarn auf diesem festen familienfreundlichen Fundament. Sie möchten ihr Leben meistern, mit Familie, Kindern und Eigenheim. Daher haben die meisten Ungarn kein Verständnis für die ausländische Aufregung über ihre nationale Familienpolitik. Aber auch im Inland stößt es auf völliges Unverständnis, wenn Parteien aus dem linken Spektrum versuchen, die Errungenschaften der familienfreundlichen Politik des Landes zu diskreditieren. Einige ungarische Oppositionsparteien haben sich an der Abstimmung Mitte Juni nicht beteiligt – obwohl sie auf Grund ihrer links-liberalen Einstellung die Novelle ablehnten. Sie trauten sich wohl aus wahltaktischen Gründen nicht, dies gegenüber der ungarischen Gesellschaft auch einzugestehen.
Letztlich geht es in der aktuellen Diskussion um wichtige europäische Zukunftsthemen. In Deutschland genauso wie in Ungarn muss eine von der Mehrheit der Gesellschaft akzeptierte Antwort auf die Frage gefunden werden, wie wir in Zukunft zusammenleben wollen. Die ungarischen Wähler haben sich entschieden für: Nicht mehr, sondern weniger Migration. Nicht Probleme nach Europa importieren, sondern Hilfe in die Krisenländer exportieren. Nicht weniger, sondern mehr Kinder. Keine sozialpolitischen Experimente, sondern Förderung der Familie. Nicht Genderideologie priorisieren, sondern den Schutz des Erziehungsrechts der Eltern stärken. Nicht staatliche Umverteilung, sondern niedrige Steuern. Nicht „global village“, sondern Bewahrung der eigenen Tradition, Kultur, Nation und der christlichen Werte. Nicht Multikulti, sondern europäische und nationale Identität. Dies macht das heutige Ungarn aus. Auf der Grundlage von gegenseitigem Respekt möchten die Ungarn ihre Erfahrungen mit diesem Gesellschaftsentwurf in die Diskussion über die Zukunft Europas einbringen, um Europa aus seiner Vielfalt heraus neu zu beleben.