Die Diskussion fand am 30. Juli 2022, am dritten Tag des MCC-Festes statt, zu dem das Deutsch-Ungarische Institut für Europäische Zusammenarbeit Klaus von Dohnanyi, einen ehemaligen führenden deutschen sozialdemokratischen Politiker ungarischer Herkunft, eingeladen hatte, online teilzunehmen. Er diskutierte per Zoom-Zuschaltung mit Zoltán Szalai, dem Generaldirektor des MCC, über sein Buch „Nationale Interessen: Orientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche“.
Zu Beginn der Diskussion hob Zoltán Szalai den Erfolg des Buches in Ungarn hervor und verwies dann auf die Erklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz, der eine Rückkehr zum nationalen Interesse forderte. Das deutsche Interesse ist auch ein europäisches Interesse und teilweise ebenso ein ungarisches Interesse – entgegnete von Dohnanyi. Wir sind alle Europäer, wir haben gemeinsame Interessen, auch wenn es dabei unterschiedliche nationale Interessen gibt. Schauen wir uns Frankreich und Deutschland an: Die Franzosen wollten die Kernkraft behalten, während Deutschland dies anders sah.
Auf die Frage über den Krieg in der Ukraine gab von Dohnanyi eine klare Antwort: Es ist in unserem Interesse, den Krieg zu beenden. Der Krieg dient nicht dem Schutz der Interessen der Ukraine, das Land wird zerstört. Russland hat den Krieg begonnen, aber es geht darum, die Ukraine zu schützen, damit sie später mit Europa zusammenarbeiten könnte. Von Dohnanyi betonte auch, wie wichtig es sei, die Widersprüche in der US-Außenpolitik zu erkennen. Wie in der Vergangenheit gilt auch heute noch, dass die Aufrechterhaltung eines schwachen, von den USA abhängigen Europas, den Entscheidungsträgern in Washington wichtiger ist als die Schaffung eines starken, zu unabhängigen Entscheidungen fähigen Europas.
Sicherheit und Schutz sind auch eine Frage der Wahrnehmung – erklärte von Dohnanyi. Europa wird nicht in der Lage sein, sich gegen eine Atommacht zu verteidigen, aber Russland ist grundsätzlich auch nicht aggressiv Europa gegenüber. Die Alternative ist, darauf hinzuarbeiten, dass wir uns selbst verteidigen können, aber gleichzeitig müssen wir auf gleicher Augenhöhe mit Russland zusammenarbeiten. Die bisherige deutsche Politik, die auf Handel mit Russland gesetzt hatte, war kein Fehler. Der Fehler war die Expansion der NATO in russische Interessenzonen, also Richtung Ukraine und nach Georgien.
Szalai wies darauf hin, dass Ungarn im Energiebereich stark von Russland abhängig ist. Von Dohnanyi sagte, dies sollte reduziert werden, denn Vielfalt sei wichtig und man könne sich nicht auf eine einzige Quelle verlassen. Gleichzeitig ist von Dohnanyi der Ansicht, dass Sanktionen, auch wenn sie aus innenpolitischen Gründen verständlich sind, im Allgemeinen kein wirksames Instrument der außenpolitischen Einflussnahme darstellen.
In seiner Antwort über Deutschland wies von Dohnanyi auf die Notwendigkeit einer öffentlichen Debatte hin, die er als einen der Gründe für die Verfassung seines Buches nannte. Leider wurde die erwartete öffentliche Wirkung nicht erzielt, obwohl das Buch eine gute Rezeption erfahren hatte. Deutschland und die deutschen Medien sind einheitlich und Deutschland sei im Moment kein gutes Beispiel für öffentliche Vielfalt, sagt von Dohnanyi.
Gleichzeitig sieht der ehemalige Politiker die Zukunft in kooperierenden und kompromissfähigen Nationen. Diplomatie wird gebraucht, nicht Aufrüstung. Wir müssen in der Lage sein, uns zu verteidigen, aber der Aufbau von Verteidigungskapazitäten allein wird niemals Frieden bringen, wie dies das Beispiel der US-amerikanischen Nahostpolitik gezeigt hat.