An die Stelle einer ordentlichen Integrationspolitik ist in den zurückliegenden Jahren die Politik der Diversität getreten, welche die gesellschaftlichen Konsequenzen außer Acht lässt. In diesem Zusammenhang erörterte im Rahmen der Veranstaltung „Der deutsche Traum von einer multikulturellen Gesellschaft“ am 11. April 2023 Dr. Stefan Luft, Privatdozent am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bremen, die Schattenseite der deutschen Integrationspolitik.

An der Veranstaltung, die von Alexander Rasthofer, Projektassistent für Forschung am Deutsch-Ungarischen Institut für Europäische Zusammenarbeit, am Mathias Corvinus Collegium moderiert wurde, nahmen rund 50 Teilnehmer teil. Péter Dobrowiecki, Forschungsleiter des Deutsch-Ungarischen Instituts für Europäische Zusammenarbeit, eröffnete die Veranstaltung und ging in seiner Begrüßungsrede auf die Notwendigkeit ein, über polarisierende Themen wie Migration und Integration in einem sinnvollen Kontext miteinander zu reden.

In seiner einleitenden Vorstellung gab Luft zunächst einen Überblick über die Migrations- und Integrationsdebatten Deutschlands ab den 1970er Jahren. Er gliederte die Diskurskultur in diesem Zusammenhang in vier verschiedene Etappen und erläuterte, inwiefern sich die Auslegung der Begriffe gewandelt und die Schwerpunkte verlagert hätten: In den 1970er und 1980er Jahren habe der Gastarbeiter als „betreuter Ausländer“ im Mittelpunkt gestanden. Der Staat habe durch die Gastarbeiteranwerbung das erhalten, was er brauchte: Arbeiter, die die soziale Marktwirtschaft stabil hielten. Allerdings sei der Zuzug und insbesondere der Nachzug nicht gestoppt worden. Fatal sei es gewesen, so Luft, dass die damit einhergehenden strukturellen wie auch kulturellen Probleme nicht beachtet worden seien, sondern im nächsten Schritt, nämlich mit der Einführung des Multikulturalismusbegriffs in den 1990er Jahren unter den Teppich gekehrt worden seien. Laut den Vertretern multikultureller Positionen sollen kulturelle Unterschiede gefördert werden. Dabei habe die fehlgeleitete Politik die Gräben zwischen Zuwanderern und Einheimischen vertieft, weil sie nicht auf den Gemeinsamkeiten, sondern auf der Wahrung von Herkunftsidentitäten beruhe. Den endgültigen Abschied vom Begriff Integration als Einwanderungspolitik sieht Stefan Luft in den frühen 2000ern, in denen Vertreter aus verschiedenen Richtungen des politischen Spektrums den Begriff der Integration überholt gefunden hätten. Während die einen ihn aber als rassistischen Propagandabegriff deklariert hätten, habe er für die anderen als Sinnbild eines gescheiterten Gesellschaftskonzeptes gestanden. Im Mittelpunkt der aktuellen Debatten stehe nun die Diversität einer multikulturellen Gesellschaft. Vielfalt solle wertgeschätzt und in die Öffentlichkeit mit einbezogen werden. Diversität entwickle sich aber immer mehr zur Staatsdoktrin, analysierte Luft, welche die Schattenseite von Migration ausblende und jeden Kritiker auf die Seite der Rechtsextremisten stelle.

In der darauffolgenden Diskussion, begleitet von Alexander Rasthofer, wurde spezifisch die Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik nochmals näher besprochen. Die Überforderung der deutschen Behörden, in denen Bund, Länder und Kommunen bereits seit den 70er keine einheitliche Strategie verfolgen würden, sei ein zentrales Problem.

Auch in Bezug auf die neue Bundesregierung sei es nicht verwunderlich, dass drei verschiedene Parteien, die aus konservativen Wirtschaftsliberalen und Linken bestünden, trotz der Differenzen in der Asylpolitik Einheit zeigten. Man müsse aber auch anmerken, dass die Regierung unter Angela Merkel die Vorlage für diese Politik geliefert habe, mehr noch: Der Alleingang der deutschen Bundesregierung 2015 habe nicht nur alle anderen EU-Länder überrollt, sondern diese müssten nun auch noch die Rechnung dafür tragen. Es sei nicht verwunderlich, sondern richtig, dass Länder wie Ungarn zunächst die Interessen des eigenen Volkes zu wahren versuchten. Fatalerweise sei die Frage der Migration während der Flüchtlingskrise auch der Beginn gewesen, die Mitgliedsländer der Europäischen Union in „Gut“ und „Böse“ einzuteilen.

Im Rahmen seines Aufenthalts absolvierte Stefan Luft ein reichhaltiges Dialogprogramm, in dessen Rahmen er sich umfassend über die ungarische Migrations-, Integrations- und Minderheitenpolitik, die Situation und Integration der Roma sowie weitere politische und akademische Themen in Ungarn informierte. So traf er mit István Antal, Leiter des Roma-Talentprogramms am Mathias Corvinus Collegium und Leiter des Forschungszentrums für Soziale Gruppen am Kopp-Maria-Institut für Familie und Bevölkerung (KINCS) sowie Forschern des Migrationsforschungsinstitutes am Mathias Corvinus Collegium zusammen. Weiterhin besuchte er die Andrássy Universität Budapest, wo er den Lehrstuhlleiter für Diplomatie II, Prof. Dr. Heinrich Kreft, traf und kam mit Vertretern der Hanns-Seidel-Stiftung zusammen. An der Nationalen Universität für den Öffentlichen Dienst tauschte sich Luft mit dem Dekan sowie den Vizedekanen des Lehrstuhls für Polizeiwissenschaft über die Themen Strafverfolgung, Kriminaltaktik, Grenzschutz und Immigration aus. Des Weiteren traf er die Direktorin des Christdemokratischen Instituts, Sofia van der Vegt, die deutsche Autorin Monika Maron sowie die Gastprofessoren des MCC Visiting Fellowship Programms.