Am Dienstag, den 4. Oktober 2022 war Prof. Dr. Peter Hoeres, Leiter des Lehrstuhls für Neueste Geschichte an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Gastreferent des Deutsch-Ungarischen Instituts für Europäische Zusammenarbeit am MCC. Professor Hoeres beleuchtete in seinem Vortrag die Rolle der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) in der öffentlichen Diskussion. Das Blatt gehört seit über 70 Jahren zu den führenden und meinungsprägenden Tageszeitungen der Bundesrepublik. Die FAZ hat seit ihrer Gründung die wichtigsten politischen Diskussionen in der Bundesrepublik Deutschland von der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit über die Konflikte des Kalten Krieges bis hin zu den dringenden Fragen unserer Zeit wie die Frage der Zukunft Europas, die Rolle des politischen Islam oder der Digitalisierung entscheidend mitgeprägt.

Dr. Bence Bauer, Direktor des Deutsch-Ungarischen Instituts, betonte in seinem Grußwort die besonders wichtige Rolle der FAZ im In- und Ausland, besonders prägnant belegt durch die Tatsache, dass das Blatt im Ausland lange Zeit als „Stimme Deutschlands“ galt.

Professor Hoeres erläuterte in seinem mit etwa 60 Teilnehmern gut besuchten Vortrag, der auch online gestreamt wurde, die vielschichtige Einschätzung der FAZ in Deutschland, wobei die gesellschaftliche Relevanz in der Vielzahl teils widersprüchlicher, mal positiver, mal negativer Kritik zum Ausdruck kommt. Das Publikum hat einen Einblick erhalten, wie sich die Sprachpolitik, das Layout und das Verhältnis der FAZ zu bestimmten Fragen, Begriffen oder Ausdrucksweisen im Laufe der Jahre verändert hat. Turbulente historische Wendungen in der Geschichte Deutschlands in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts bis einschließlich heute haben auch ihren Niederschlag in der Entwicklung des Schreibstils und der politischen Orientierung der FAZ gefunden. Zugleich bildet die FAZ im politischen Sinne insgesamt kein einheitliches Bild mit ihren einzelnen Ressorts; während das Blatt selbst allgemeinen als eher konservativ und CDU-nah bezeichnet werden kann, werden in einzelnen Ressorts liberale bis manchmal linke Töne angeschlagen – stellte der Professor dar. Die Dynamik der aktuellen Veränderungen in der deutschen Medienlandschaft, im Rahmen derer die Objektivität in den Hintergrund gedrängt und die eigene Meinungsblase aufgebläht wird, hat sich allerdings nach Ansicht von Professor Hoeres auch auf die Qualität der FAZ negativ ausgewirkt. Zum Abschluss des Vortrages wurde darauf verwiesen, dass, sofern die FAZ auf dem heute von linksliberalen Medien dominierten Markt erfolgreich agieren möchte, sie bestimmte konservative Werte wiederfinden müsste oder in gewissen Fällen neu zu entdecken hätte und unter anderem an der Grundprämisse der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit festzuhalten habe.

Im Rahmen der Diskussion nach dem Vortragsteil wurden bestimmte FAZ-Artikel erwähnt, die ein großes Echo in der Öffentlichkeit gefunden hatten und einen Einfluss nicht nur auf die bundesdeutsche Politik, sondern auch auf die bilateralen Beziehungen der Bundesrepublik hatten. Auf die Fragen aus dem Publikum äußerte Professor Hoeres seine Bedenken, dass es auch in Deutschland zu einer starken Polarisierung der Medienlandschaft kommen könne, was mit der Zeit dazu führen könne, dass die ideologische Kluft zwischen den verschiedenen politischen Richtungen verschriebenen Medien unüberbrückbar wird.

In seinem Abschlussbeitrag betonte Boris Kálnoky, Leiter der Medienschule am MCC und ehemaliger Mitarbeiter der Die Welt, insbesondere die richtungsweisende, meinungsbildende Wirkung der FAZ, die auch einen Einfluss auf Inhalte und Layout anderer Blätter in Deutschland hatte.

Nach gründlicher und stellenweise auch von der FAZ abgelehnten Forschungsarbeit ist 2019 der Beststeller von Professor Hoeres mit dem Titel Zeitung für Deutschland: Die Geschichte der FAZ über die Historie der FAZ in den vergangenen siebzig Jahren erschienen – die ungarische Ausgabe wird zeitnah im Verlag MCC Press der ungarischen Leserschaft zugänglich werden.

Professor Hoeres konnte während seines einwöchigen Besuchsprogrammes am MCC tiefere Einblicke in die Tätigkeiten des Deutsch-Ungarischen Institutes. gewinnen. Im Rahmen des Aufenthaltes kam es vielerorts zum Gedankenaustausch über die deutsch-ungarischen Beziehungen, unter anderem mit Zoltán Szalai Generaldirektor des MCC, mit Dr. Gergely Deli, Rektor der Nationalen Universität für den Öffentlichen Dienst, mit Barbara Zollmann, Geschäftsführender Vorstand der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer, Auslandsrepräsentantin des Freistaats Bayern und mit Gergely Prőhle Direktor des Otto von Habsburg Stiftung Botschafter a.D. 

Überdies wurde der Historikerprofessor von Imre Ritter MdNV, Abgeordneter der Ungarndeutschen, Vorsitzender des Nationalitätenausschusses in der Ungarischen Nationalversammlung empfangen, wodurch er Informationen über die Lage der in Ungarn lebenden Nationalitäten aus erster Hand erhielt.