Der Präsident des ungarischen Verfassungsgerichts wurde zum neuen Staatspräsidenten in Ungarn gewählt. Doch wer ist Tamás Sulyok? Ein Porträt.
Nach dem überraschenden Rücktritt der ungarischen Staatspräsidentin Katalin Novák beruhigen sich im politisch aufgeheizten Ungarn langsam die Gemüter. Am 26. Februar wählte die Ungarische Nationalversammlung den bisherigen Präsidenten des Verfassungsgerichts, Dr. Tamás Sulyok, zum neuen ungarischen Staatsoberhaupt. Ministerpräsident Viktor Orbán betonte, dass bei der Kandidatenwahl die Erfahrung, die Sachkunde in Verfassungs- und Rechtsfragen sowie das Wissen um politische Institutionen und die internationale Aufstellung eine Rolle gespielt hätten. Politische Beobachter sehen dies auch als ein Zeichen des enormen Stellenwertes der Rechtsstaatlichkeit im Lande.
Juristische Laufbahn und Schwerpunkte
Nach dem Studium der Rechtswissenschaften betätigte sich der 1956 geborene Tamás Sulyok erst als Rechtsberater, dann bis zu seiner Wahl in das ungarische Verfassungsgericht als Rechtsanwalt. Zwischen 2000 und 2014 war er österreichischer Honorarkonsul in Szeged und lehrte seit 2005 an der dortigen Universität Verfassungsrecht. Nach seiner Wahl zum Verfassungsrichter 2014 wurde er 2016 vom Parlament zum Präsidenten des Verfassungsgerichts von Ungarn bestellt. Er ist damit nach László Sólyom (2005-2010) der zweite Präsident des Verfassungsgerichts, der zum Staatspräsidenten avancierte. Im Gegensatz zu Sólyom waren die Entscheidungen des Verfassungsgerichts in der Zeit von Sulyok weniger kontrovers, seltener umstritten und von einer größeren verfassungsrechtlichen Reife geprägt.
Sulyoks Familie erlebte den Kommunismus aus nächster Nähe. Sein Vater musste nach dem Zweiten Weltkrieg seine Arbeit als Rechtsanwalt für mehr als zehn Jahre beenden. Durch diese Ereignisse sensibilisiert, promovierte der Sohn nach der Wende zum Thema der verfassungsrechtlichen Stellung der Rechtsanwaltschaft. Auch Tamás Sulyok selbst erfuhr aus eigener Erfahrung, wie der Kommunismus sich des Rechtswesens bemächtigte. Nach dem Assessorexamen bedeutete ihm der Präsident des Komitatsgerichts, ein politisch Ernannter, er müsse in die kommunistische Partei eintreten, wenn er Strafrichter werden wolle. Seine frappierende Antwort – er wolle kein Strafrichter sein – trug ihm eine Zwangsversetzung in eine Kleinstadt fern des Wohnorts mitsamt niedrigerer Stellung ein.
Tamás Sulyok spricht nicht nur ausgezeichnet Deutsch, sondern gilt auch als Freund der deutschsprachigen Länder. An entscheidender Stelle in Diplomatie und Rechtswesen knüpfte er enge Bande zu Deutschland, Österreich und der Schweiz. Dabei gehört er zu jenen Ungarn, denen der deutsche Sprach-, Kultur- und Zivilisationsraum nicht nur aus den Lehrbüchern etwas sagt, sondern aus eigener persönlicher Verbundenheit. Gerade in aufgewühlten Zeiten war er als Mann des Rechts und des Ausgleichs immer bemüht, den europäischen Dialog im Rechtsstaatsbereich aufrechtzuerhalten. Der 67-jährige Sulyok gilt in Fachkreisen als solider, glaubwürdiger und verlässlicher Garant der Rechtsstaatlichkeit. Der Neugewählte glaubt nach eigener Aussage sehr an den europäischen Dialog, was aber keineswegs bedeuten solle, seine eigenen nationalen Werte aufzugeben. Die nationale Identität, das nationale Interesse und die nationale Souveränität zu verteidigen, sind für Tamás Sulyok wichtige Anliegen in einem Europa, in dem zusehends rechtliche, politische und moralische Fragen immer wieder zum Nachteil der Nationalstaaten vermengt werden.
Ausblick
Kenner der Politik des Landes weisen darauf hin, dass die Wahl von Sulyok ein wichtiges Zeichen der Solidität und Verlässlichkeit sei. Selbst regierungskritische Analysten weisen darauf hin, dass es auch der Opposition gut zu Gesicht gestanden hätte, den renommierten Sulyok im Parlament zu unterstützen. Stattdessen hätten sich die Oppositionsparteien in Grabenkämpfe verirrt und auf keine gemeinsame Linie einigen können. Für Ministerpräsident Viktor Orbán und seine Regierungskoalition ist die Wahl von Tamás Sulyok eine gute Entscheidung, denn man hat innerhalb kürzester Zeit einen Personalengpass sauber und solide lösen können - obendrein mit einer hochstehenden Persönlichkeit, an deren fachlicher und persönlicher Eignung keine Zweifel bestehen. Damit hat der ungarische Ministerpräsident klar das Heft des Handelns in die Hand genommen und wieder einmal mehr bewiesen, wie er selbst politische Krisen in Erfolge ummünzen kann.