Ein Buch über ein Deutschland, in dem niemand mehr in Sicherheit ist Der fiktive Roman von Constantin Schreiber über ein Deutschland 30 Jahre in der Zukunft.
„Die Diversity-Hymne erklingt heute regelmäßig vor großen Veranstaltungen, beispielsweise zum Eröffnungsspiel der Bundesliga oder zum jährlichen Karneval. Sie gilt längst als inoffizielle Nationalhymne, denn sie steht für alle, anders als das Deutschlandlied, das nicht auf Inklusion, sondern auf kulturelle Exklusivität anspielt.“
Der Roman von Constantin Schreiber ist eine Fiktion über ein Deutschland in 30 Jahren. Dabei präsentiert der Autor die ausufernde und extreme Wahlkampfstimmung in der Öffentlichkeit aus politischen und sozialen Perspektiven. Der Roman erschien am 5. Mai 2021, einige Monate vor den Wahlen zum 21-sten Bundestag, beim Hamburger Verlag 'Hoffmann und Campe'. Innerhalb von nur einem Monat, also bereits im Juni 2021, kam der Roman auf die Bestsellerliste des Spiegel und hat seit der Erstveröffentlichung kaum an Aktualität verloren.
Dass das Buch brandaktuell ist, belegt auch die Erklärung von Manfred Weber, dem Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei (EVP), in einem Interview, das er an Anfang Dezember 2022 an die Welt am Sonntag gegeben hat. Dabei betonte Weber, dass
die Aufnahmezentren in Deutschland voll und die für die Unterbringung der Asylsuchenden zuständigen Kommunen einem erheblichen Druck ausgesetzt seien.
Er fügte hinzu, dass über den Winter eine weitere erhebliche Anzahl ukrainischer Flüchtlinge in die Europäische Union kommen werde. Weber äußerte seine Befürchtung, dass in diesem Winter dramatische Prozesse anlaufen würden, die an die Zustände während der zugespitzten Migrationskrise 2015 erinnern könnten, mitsamt Aufnahmezentren in den Sporthallen örtlicher Schulen und Sportvereine. Manfred Weber erwähnte nachdrücklich, dass die Koalitionsregierung aus Sozialdemokraten (SPD), Grünen und Liberalen (FDP) auf diese Lage nicht vorbereitet sei und „die Herausforderungen einfach außer Acht“ lasse.
Der Autor Constantin Schreiber bezieht sich in seinem Buch auf die Gegenwart von 2021, auf die aktuellen gesellschaftlichen Probleme, auf identitätsbasierte politische Forderungen und auf die von der Migration ausgelösten Anspannungen. Kaum angesprochen wird wiederum eine der größten Herausforderungen unserer Zeit – der Klimawandel, dem jedoch auch im Wahlkampf große Aufmerksamkeit zukommt, wie auch die Abwehrmaßnahmen gegen die Krise eine wichtige Rolle spielen. Besonders interessant ist das, weil der Autor die im Roman beschriebenen Umstände aus der Perspektive einer muslimischen Kanzlerkandidatin der sozusagen zukünftigen Grünen, der 'Ökologischen Partei' präsentiert. Im Verlauf der verschiedenen Kapitel lernen wir den Alltag von Sabbah Hussein kennen und sind hautnah bei den Demonstrationen in Berlin und ihrer Wahlkampfführung dabei, begleiten sie auch auf einer Reise nach China. Wir erfahren, wie ein von verschiedenen Religionen gemeinsam abgehaltener Gottesdienst stattfindet und wie mit dem Singen der Hymne die Vielfalt gespickt wird. Dabei gewinnen wir Einblicke in jene Sonderregelungen, die das geltende Recht bietet, um das Gebot der Diversität im öffentlichen Leben und der Arbeitswelt durchzusetzen. Wir lesen über ein versuchtes Attentat auf die Kandidatin, ihr Nahtoderlebnis, ihre Genesung und der auf die Tat folgenden, absurden Gerichtsverhandlung. Bei dieser gesteht der Angeklagte alles, ohne groß nachzudenken, in der Hoffnung, durch sein Geständnis die Ablehnung der Deutschen gegenüber der muslimischen Kanzlerkandidatin anzufachen und ihrer Popularität zu schaden.
Die Protagonistin, Sabbah Hussein, ist eine ehrgeizige, intelligente Muslimin, die eine steile Karriere anstrebt, bald jedoch feststellen muss, dass sie mit den Labyrinthen von Politik und Diplomatie überhaupt nicht vertraut ist. Sie versucht, ihre Unzulänglichkeiten zu vertuschen, indem sie vorgibt, zu wissen und zu verstehen, was sie tut. Dabei setzt sie sich mit tiefster Überzeugung für die Verwirklichung ihres politischen Programms ein: die Schaffung einer Gesellschaft, die auf den Werten der Vielfalt beruht. Ihr kommt dabei ihre Herkunft, ihre soziale Stellung und ihr Geschlecht zugute. Im Libanon als Tochter syrischer Eltern geboren, ist es für die charismatische, junge und schöne Frau ein Leichtes, die Sympathien der Einwanderer, die inzwischen die Mehrheit der Wählerschaft ausmachen, zu gewinnen, und kann bei all jenen punkten, die sich wegen ihrer sozialen Stellung diskriminiert fühlen.
Bei ihrem Besuch in China trifft Hussein eine Wahrsagerin, die ihr zur Vorsicht mahnt und ihr erzählt, dass es in ihrer Nähe eine Person gäbe, die das Symbol der aus dem Christentum bekannten Schlange verkörpere, ihr gegenüber unehrlich sei und eine ernste Gefahr für sie darstellen könnte. Später erfahren wir auch, dass hinter der politischen Agenda der Kanzlerkandidatin ein Imam steht, der Christen gegenüber feindlich gesonnen ist und Hussein zur Umsetzung eines islamistischen Programms ausbildet und anleitet. Die Worte der chinesischen Wahrsagerin bewahrheiten sich übrigens: nicht nur radikale rechtsextreme Gruppen, sondern auch die unmittelbaren Mitarbeiter von Sabbah haben durchweg an der Vereitelung ihrer Pläne gearbeitet.
Die Darstellungsweise des Autors ist geradezu erschreckend, denn er beschreibt ein Deutschland, in dem sich niemand mehr in Sicherheit wähnen darf.
Vergeblich ist die Gleichheit vor dem Gesetz und vor Gott, die Rede- und Meinungsfreiheit: die geplanten und eingeführten Maßnahmen führen letzten Endes zu noch mehr Konkurrenz und Hass in der Gesellschaft als je zuvor.
Meiner Überzeugung nach hat Schreiber die Problematik der gesellschaftlichen Diversität 2021 deshalb so frappierend veranschaulicht, weil diese im täglichen politischen Diskurs und in der Wahlkampfkommunikation nicht den Rang und Umfang erhielt wie der Klimawandel, die Einstellung der Menschen zur Politik allerdings mindestens genauso stark prägt.
Foto: Corvinak.hu