Liebes Tagungspräsidium, liebe Delegierte, liebe Freundinnen und Freunde, meine sehr geehrten Damen und Herren. Wir, die CDU, wir haben drei nicht ganz einfache Jahre erlebt und wir haben eine schwere Niederlage bei der Bundestagswahl im letzten Jahr hinnehmen müssen. Aber diese Zeit liegt jetzt hinter uns. Von diesem Parteitag geht ein kraftvolles Signal des Aufbruchs und der Erneuerung der CDU aus. Wir haben unser Selbstvertrauen nicht verloren und auch nicht unsere staatsbürgerliche Verantwortung für unser Land. Gerade wegen der neuen Regierung hier in Berlin hat Deutschland Anspruch auf eine Union aus CDU und CSU, die dem Land weiter dient, die Antworten gibt auf die drängenden Fragen unserer Zeit, und die als Opposition von heute zunächst den Anspruch an sich selbst stellt, wieder die Regierung von morgen sein zu können.

Täuschen wir uns nicht, bis dahin kann es ein weiter Weg sein. Wie lang der Weg wirklich wird, liegt nicht allein, aber auch an uns. Wenn wir uns streiten, wenn wir in alle Himmelsrichtungen auseinanderlaufen, wenn wir ein unklares Bild abgeben, wenn wir bei den Themen nicht auf der Höhe der Zeit sind, dann wird es möglicherweise sehr lange dauern und selbst dann ist es nicht gesagt, dass es überhaupt gelingt. Wenn wir aber schnell Tritt fassen, wenn wir offen sind für interessante Diskussion, wenn wir einfach Freude daran haben, an der Gestaltung unseres Landes, an der Gestaltung der Europäischen Union und vor allem an der Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen in unserem Land aktiv mitzuwirken, dann kann in der Niederlage auch zugleich ein neuer Anfang, eine neue Chance für uns liegen.

Ich bin jedenfalls fest entschlossen, diese Chance mit Ihnen allen, mit dem neuen Präsidium, mit dem neuen Bundesvorstand, mit allen unseren Mandatsträgern, mit unseren Mitgliedern und auch mit denen die neu dazu kommen wollen, mit Ihnen allen zusammen bin ich fest entschlossen, diese Chance zu nutzen. Wir müssen in der neuen Rolle, in der wir sind, gleich drei Aufgaben zeitgleich lösen: Erstens, wir müssen kraftvolle Opposition im Bund sein.  Zweitens, wir wollen Wahlen in den Ländern gewinnen. Und schließlich drittens, nur Opposition zu sein reicht nicht. Wir wollen eigene Antworten geben und auch ein neues Grundsatzprogramm verfassen.

 In der Opposition, liebe Freundinnen und Freunde, brauchen wir keine Rücksicht mehr nehmen auf Koalitionspartner. Wir können das sagen, was wir denken und tun, was wir sagen. Wichtigste Aufgabe für uns wird dabei sein, diese Regierung zu kontrollieren, diesen Bundeskanzler herauszufordern. Und weil wir schon dabei sind, haben wir heute am Tag einige Fragen an unseren Bundeskanzler: Sie, Herr Scholz haben gesagt: wer bei mir Führung bestellt bekommt auch Führung. Unsere Frage ist, welche Führung meinen sie denn? Sie wollen eine allgemeine Impfpflicht und weigern sich dem deutschen Bundestag einen Regierungsentwurf ihrer Regierung vorzulegen. In Deutschland liegen die Inflationsrate und die Energiepreise so hoch wie seit Jahrzehnten nicht. Die Menschen haben Angst um ihre Ersparnisse, um ihre Renten, um ihre Einkommen. Die bekommen von ihnen keine Antwort. Sie geben eine erste Regierungserklärung im deutschen Bundestag ab, über fast anderthalb Stunden. In dieser Regierungserklärung kommen die Worte Bündnisverteidigung, Landesverteidigung, ja kommt das Wort Bundeswehr, nicht vor. In diesen Tagen sorgt sich nicht nur Deutschland und Europa, sondern die ganze Welt um den Frieden in Europa. Sie waren bisher weder in Washington noch in Moskau und die deutsche und die internationale Öffentlichkeit erfährt noch nicht einmal, ob sie denn wenigstens mit dem amerikanischen Präsidenten und dem russischen Präsidenten sprechen. Alle ihre Vorgänger, Herr Bundeskanzler, spätestens von Helmut Schmidt an angefangen, der ja offensichtlich ihr großes Vorbild ist, hätten in dieser Lage Führung gezeigt, sie hätten Initiativen ergriffen, sie wären mit den internationalen Partnern im täglichen Gespräch und Austausch.

Wir bekennen uns zu politischer Führung und zu politischer Verantwortung. Wir haben Wahlen in diesem Jahr am 27. März im Saarland, am 8. Mai in Schleswig-Holstein, am 15. Mai in Nordrhein-Westfalen und am 7. Oktober in Niedersachsen. Diese Christlich Demokratische Union trägt Verantwortung, sie zeigt Führung in Deutschland und wir wollen diese Verantwortung weitertragen. Dass es geht, dass man sogar gegen den Trend, gegen Meinungsumfragen, gegen kurzfristige Stimmungen, Wahlen gewinnen kann, Armin Laschet hat es heute Morgen schon einmal gesagt, hat Reiner Haseloff im letzten Jahr im Juni 2021 gezeigt als er mit einer ganz klaren Abgrenzung, insbesondere nach Rechtsaußen, diese Landtagswahlen gewonnen hat. Wir wollen aber auch überzeugende eigene Konzepte vorlegen. Wir müssen nicht jeden Tag zu jedem Thema und zu Allem und Jeder etwas sagen, aber zu den wesentlichen Fragen der Gegenwart und unserer Zukunft schon.

Lassen sie mich ausschnittsweise und ohne Anspruch auf Vollständigkeit einige Fragen nennen: Wie stellen wir uns eigentlich die soziale Marktwirtschaft in Zeiten des Klimawandels vor? Wie gestalten wir äußere und innere Sicherheit in Zeiten zunehmender Bedrohungen und wie buchstabiert die Christlich Demokratische Union soziale Gerechtigkeit in Zeiten des demografischen Wandels? Die Regierungskoalition hier in Berlin steht vor einem gigantischen Ausgabenprogramm aus öffentlichen Haushalten und wird von einer Staatsgläubigkeit fast unbegrenzten Ausmaßes getragen. Wir müssen zeigen, dass diese große Herausforderung, diese Transformation, vor der wir alle stehen, dass Klimaschutz und Industriearbeitsplätze zusammengehen und deswegen sagen wir nein, es geht nicht allein über öffentliche Haushalte, hohe Steuern und Abgaben. Es geht nur mit den Menschen, es geht nur mit der Wirtschaft und wir müssen alle zusammen einen Beitrag dazu leisten, dass dieses große Projekt gelingt. Der Konflikt an der ukrainische Ostgrenze bedroht den Frieden auf unserem Kontinent. Wir wissen, dass die innere Sicherheit in unserem Land zunehmend durch politischen Extremismus gefährdet ist. Die zunehmende Radikalisierung eines Teils der deutschen Gesellschaft ist eine große Herausforderung für alle Demokraten in unserem Land. Uns besorgt insbesondere die massive Radikalisierung rechtsaußen. Von dort verläuft eine direkte Linie bis hin zum Mord an Walter Lübcke, der sich im Juni diesen Jahres zum dritten Mal jähren wird. Nicht nur deshalb, aber auch deshalb, stehen wir gegen jede Form des politischen Radikalismus. Wir stehen auf der Seite der wehrhaften Demokratie, wir stehen hinter unserer Polizei und gegen jede Form des politischen Radikalismus, egal ob er von rechts oder von links kommt.

Und schließlich die Sozialpolitik. Ja, liebe Freundinnen und Freunde, die Sozialpolitik ist nicht der Reparaturbetrieb des Kapitalismus. Wir sagen soziale Marktwirtschaft und das soziale ist konstitutiver Bestandteil unserer marktwirtschaftlichen Ordnung. Wir werden zwei große Fragen beantworten müssen, wenn wir auf den Weg gehen dieser auch neuen inhaltlichen Ausrichtung unserer Partei. Wir müssen zum einen die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfest und demographiefest machen. Die junge Generation stellt uns zurecht die Frage, wie denn etwa die sozialen Sicherungssysteme im Allgemeinen, aber vor allem das Rentensystem, so abgesichert werden kann, dass nicht nur die ältere Generation, für die ist es sicher, aber auch die junge Generation eine Chance hat, im Alter noch ein auskömmliches Einkommen zu haben. Das wird wahrscheinlich für uns die größte auch intellektuelle Aufgabe sein, hier neue Vorschläge zu machen. Und schließlich das alte Versprechen der christlichen Soziallehre und der evangelischen Sozialethik ist bis heute uneingelöst, nämlich die Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Produktivkapital unserer Volkswirtschaft.

Liebe Freundinnen und Freunde, wir wollen das alles fundieren mit einem neuen Grundsatzprogramm. Die CDU hat in ihrer Geschichte bisher drei Grundsatzprogramme verabschiedet. 1978 Freiheit Gerechtigkeit Solidarität, 1994 Freiheit in Verantwortung und 2007 Freiheit und Sicherheit. Das beste Grundsatzprogramm vermutlich, von allen dreien, ist uns 1978 gelungen, als wir schon einmal in der Opposition waren. Vielleicht hatte das sogar einen Zusammenhang. In jedem Fall, da liegt die Messlatte. So wie schon einmal, vor fünf Jahrzehnten, müssen wir jetzt neue Antworten auf die Jahre, vielleicht das Jahrzehnt geben, das vor uns liegt. Antworten darauf, was uns ausmacht, was uns unterscheidet und was nur uns gelingen kann. Das Wort Freiheit fand sich in den Überschriften aller drei Grundsatzprogramme. Es sollte auch nach meinem Empfinden im neuen Grundsatzprogramm nicht fehlen, aber vielleicht müssen wir noch mehr die Verantwortung der Menschen betonen, die sie tragen, für unsere Gesellschaft, aber auch für sich selbst. Und ziemlich sicher werden wir noch etwas intensiver über Chancen und Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft nachdenken müssen. Auch und gerade über die Chancen von Kindern aus benachteiligten und bildungsfernen Schichten, die ohne eine aktivierende Hilfe unseres Sozialstaats und die ohne eine gute, ich sage eine bessere, Bildungspolitik keine Chance haben in unserem Land wenigstens einen bescheidenen Wohlstand aus eigener Kraft zu erarbeiten.

Wir müssen dabei nicht alles neu erfinden, wir können mit Dankbarkeit und auch ein wenig Stolz auf das zurückblicken, was in den letzten sieben Jahrzehnten in Deutschland maßgeblich unter unserer Führung und Beteiligung entstanden und gewachsen ist. Wir stehen auf einem soliden Fundament. Von diesem Fundament aus werden wir nicht einfach dem Zeitgeist hinterherlaufen. Im Gegenteil, wir verteidigen die bürgerliche Gesellschaft und Familie. Wir fühlen uns Toleranz und Freiheit ebenso verpflichtet, wie dem Schutz von Meinungsfreiheit, der offenen und notfalls auch streitigen demokratischen Diskussion. Wir hören zu und schauen hin und wir wollen den gesellschaftlichen Wandel nicht über uns ergehen lassen, sondern wir wollen ihnen aktiv mitgestalten. Wir schützen die Familien. Wir sind Anwalt der schwachen und der Menschen, die unsere solidarische Hilfe brauchen. Wir stehen zur Bundeswehr und zu unseren europäischen und internationalen Verpflichtungen. Wir wollen ein handlungsfähiges und ein starkes Europa, nicht einen übermächtigen europäischen Bundesstaat, sondern eine Europäische Union, die ihre Kernkompetenzen erfüllt, vor allem solche, die die Nationalstaaten eben nicht mehr allein bewältigen können. Wir spielen die gesellschaftlichen Gruppen nicht gegeneinander aus, sondern wir führen zusammen.

Und liebe Freundinnen und Freunde, auch das ist eine Aufgabe, vielleicht sogar die wichtigste Aufgabe einer Volkspartei in unserer Zeit. Gesellschaftliche Konflikte schon einmal selbst aufzunehmen und auszutragen und dann zu gemeinsamen Lösungen jedenfalls in unserem politischen Meinungsspektrum zu kommen. Und schließlich, wir wissen, dass Wirtschaft nicht alles ist, aber ohne eine erfolgreiche und ohne eine konkurrenzfähige Wirtschaft, wird weder der ökologische Umbau unseres Landes gelingen noch der Sozialstaat Bundesrepublik Deutschland auf Dauer aufrecht zu erhalten sein. Deshalb haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Unternehmerinnen und Unternehmer einen festen Platz in der Union. Auch das ist unser Grundverständnis von sozialer Marktwirtschaft. In diesem Sinne sind wir als Christen in der CDU anspruchsvoll auch gegenüber uns selbst und zugleich demütig und bescheiden, weil wir auf dieser Welt nach unserem Selbstverständnis eben immer nur die vorletzten Antworten geben. Wir sind liberal und offen, offen für neues und sozial und bewahrend zugleich. Das ist sogar im besten Sinne des Wortes konservativ, denn wie sagt Andreas Rödder vor einiger Zeit: Konservative haben die Haltung verinnerlicht, dass uns das, was wir heute für unverrückbar halten, morgen schon als völlig falsch erscheinen kann und umgekehrt. Der eigentliche Vorzug, so sagt er weiter, konservativen Denkens ist, dass es vor Dogmatismus und Unbedingtheit schützt.

Ja liebe Freundinnen und Freunde, meine Damen und Herren: starke Basis, klarer Kurs. So haben wir das Motto dieses 34. Parteitages der CDU Deutschlands ausgewählt. Wir haben eine starke Basis. Wir haben fast 400.000 Mitglieder. Davon haben sich über 250.000 an der Abstimmung über einen neuen Parteivorsitzenden beteiligt. Ich möchte mich bei ihnen allen schon für ihre Beteiligung herzlich danken. Zwei Drittel unserer Mitglieder waren dabei. Über die Hälfte übrigens digital. Diese Partei lebt, sie ist aktiv und sie erwartet jetzt von uns Führung, starke Führung und klaren Kurs. Ich will mich auch persönlich bei denen bedanken, die mich gewählt haben und ich füge hinzu einen persönlichen Dank an die beiden Mitbewerber. An Norbert Röttgen und Helge Braun. Vielen Dank an euch beide für das faire Miteinander in den letzten Wochen und Monaten. Vielen Dank für Ihre Unterstützung meine Damen und Herren.

Für den klaren Kurs müssen wir jetzt sorgen, die neue Führung der CDU. Aber vor der Klammer jeder Entscheidung in den Sachfragen steht die Frage um das Miteinander in der Union. Wir nennen uns bürgerlich und wenn das richtig sein soll, dann müssen wir uns vor allem selbst untereinander so verhalten. Und deswegen noch einmal und letztmalig von dieser Stelle. Das was wir im Jahr 2021 in der Union erlebt haben, das darf sich nicht wiederholen und das wird sich nicht wiederholen. Ja wir können streiten, wir müssen auch in den Sachfragen miteinander ringen und wo Notfall auch streiten, aber am Ende müssen gemeinsame Ergebnisse stehen. Am Ende müssen Lösungen stehen und ich schließe hier ausdrücklich mit ein, CDU und CSU. Wir sind in einer so guten Kombination, es ist fast eine kongeniale Konstruktion, um die uns andere europäische Christdemokraten beneiden. Wir schöpfen, wenn wir es gut und richtig machen, gemeinsam ein Wählerpotenzial aus, dass wir für uns allein, CDU oder CSU, gar nicht ausschöpfen könnten. Deswegen machen wir uns von diesem Parteitag heute auf diesen Weg. Deswegen weiß ich und wir wissen es alle, welche Verantwortung jetzt auf unseren Schultern liegt, aber wir trauen es uns zu. Wir wollen diese Aufgabe beherzt, mit Mut und auch mit ein bisschen Fröhlichkeit, angehen.

Liebe Freundinnen und Freunde, wenn es erkennbar wird, dass wir Spaß und Freude an dieser Arbeit haben, wenn die Menschen, nicht nur unsere Mitglieder, die Wählerinnen und Wähler beobachten, dass wir, die Christdemokraten in Deutschland, Freude an dieser Arbeit haben, dann wird sich das auf unsere Wählerinnen und Wähler, dann wird sich das auch auf unsere Wahlergebnisse übertragen. Wenn sie diesen Weg mit mir, wenn sie mit uns diesen Weg ab heute gehen wollen, wenn wir auch gemeinsam wieder erkennbar Freude haben wollen an unserer Arbeit, dann bitte ich sie, die Delegierten des 34. Bundesparteitags der CDU Deutschlands, dann bitte ich sie alle heute um ihr Vertrauen. Herzlichen Dank.

 

Quelle: #Merzrede beim Bundesparteitag der CDU Deutschlands. online verfügbar: https://www.friedrich-merz.de/

Titelbild: KAY NIETFELD / DPA / dpa Picture-Alliance via AFP