Es gebe zwei Problem hinsichtlich der Masseneinwanderung: „Die Überforderung der Integration und das Entstehen von Parallelkulturen. Das andere liegt in der Verlogenheit unserer aktuellen Debatte, insbesondere in Deutschland. Denn was hier als Multikulturalität diskutiert wird, hat mit der historischen Tatsache der Multikulturalität europäischer Gesellschaften nichts zu tun. Es ist eher ein normatives, politisches, also ideologisches Konzept. Man sollte daher von Multikulturalismus sprechen.”

Mit diesen Worten fasste Dr. Alexander Grau, Publizist, Philosoph, Journalist und derzeitiger Visiting Fellow des Deutsch-Ungarischen Instituts für Europäische Zusammenarbeit am Mathias Corvinus Collegium (MCC), die zentralen Problemstellungen seines 20-minütigen einleitenden Kurzvortrags zusammen, den er am 12. Juli 2023 im Rahmen der Veranstaltung „Multikulturalismus – Traum oder Alptraum?” am MCC Szeged hielt. An Graus Vortrag schloss sich eine ca. einstündige Podiumsdiskussion, moderiert von Alexander Rasthofer, Projektassistent für Forschung des Deutsch-Ungarischen Institutes, an. Die Sommerabschlussveranstaltung versammelte ein interessiertes Publikum von an die 30 Zuhörern.

Nach der Begrüßung und Eröffnung der Veranstaltung durch Tamás Kardos vom MCC Szeged und den Moderator, stimmte Grau in seinem einleitenden Inputvortrag das Publikum auf das Thema des Multikulturalismus in Deutschland, Ungarn und Europa ein. Hierbei zeichnete er nach einer kurzen Erklärung des Konzepts, zunächst die multikultrelle historische Struktur und Genese Europas als vielfältigen Kulturraum nach. Insbesondere die ungarische und die deutsche Geschichte seien sehr schöne Beispiele dafür, wie „die Stürme der Geschichte über Jahrhunderte ganze Völkerschaften durcheinanderwirbelten, wie Siedlungsregionen erschlossen, erobert, neu besiedelt, wieder erobert, zurückgewonnen und so weiter wurden.“

Nichtsdestotrotz könne man in der Alltags- und Hochkultur selbstverständlich bestimmte lokale, regionale oder nationale Besonderheiten und Unterschiede feststellen. Diese seien zwar nicht immer klar abgrenzbar, deren Gravitationszentren könne man jedoch als „Leitkultur“ bezeichnen. Verschiedene Kulturen und Multikulturalität an sich seien erstmal nichts Schlimmes, ja etwas Bereicherndes. Dennoch ließen sich, wie einleitend erwähnt, zwei Probleme feststellen: Erstens, die Masseneinwanderung, die begünstige, dass anstatt eines multikulturellen Gefüges immer häufiger abgegrenzte Parallelgesellschaften entstünden, die sich nicht in die Mehrheitsgesellschaft integrierten. Zweitens, die falsche Debatte, die anstatt der historischen Tatsache der Multikulturalität das ideologische Konzept des Multikulturalismus diskutiere (s. o.). Dieses werde „hier zu einem Hebel der neuen politischen Linken, die europäischen Gesellschaften in ihrem Sinne umzubauen.“ Aus der multikulturellen werde die „multikulturalistische“ Gesellschaft – keine Vielfalt, sondern eine globale Monokultur.

In der anschließenden lebhaften und kontroversen Podiumsdiskussion erörterten die Diskutanten und das Publikum die Fragen der Handlungsspielräume nationaler Regierungen, globaler Prozesse der Migration und der Lösungsansätze innerhalb der Krisenländer vor Ort. Weiterhin die Debatte innerhalb Deutschlands, die Rolle der Wissenschaft und der Medien und die tagespolitischen Konsequenzen des Multikulturalismus mit dem Aufstieg der AfD. Auch die Frage der Integrierbarkeit verschiedener Kulturen und Religionsgruppen wurde aufgeworfen

Im Rahmen seines Besuchsprogrammes in Szeged besuchte Grau überdies die Neue Synagoge von Szeged, um sich über die Geschichte und Rolle des Judentums in Ungarn, der Stadt und der Region zu informieren.